Ab dem Geschäftsjahr 2025 sind zahlreiche Unternehmen und Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts verpflichtet.
In den letzten Monaten ist mit Beschlüssen und Veröffentlichungen auf EU-Ebene viel Bewegung in die konkrete Ausgestaltung der Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit gekommen. In diesem Beitrag berichten wir über die künftigen Vorgaben und aktuellen Empfehlungen der EU zum Umgang mit der Wesentlichkeitsanalyse.
Am 5. Januar 2023 ist die EU-Richtlinie zur erweiterten Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsthemen – Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – in Kraft getreten. Sie verpflichtet auch zahlreiche Unternehmen und Organisationen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts ab dem Geschäftsjahr 2025. Gleichzeitig verlangt sie von der Europäischen Kommission, einen ersten Satz von Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung – die sogenannten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) – zu verabschieden. Diese Standards legen die Informationen fest, die Unternehmen gemäß den Vorgaben der CSRD berichten müssen.
Die Entwürfe der ESRS wurden maßgeblich von der Europäischen Beratungsgruppe zur Rechnungslegung (European Financial Reporting Advisory Group, EFRAG) entwickelt. Nach eingehender Prüfung der Entwürfe und einer öffentlichen Konsultationsphase hat die EU-Kommission am 31. Juli 2023 ihren endgültigen delegierten Rechtsakt zum ersten Satz der ESRS verabschiedet und im August dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Prüfung übermittelt. Die Prüfungsfrist erstreckte sich über zwei Monate und konnte um weitere zwei Monate verlängert werden. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat haben die Befugnis, einen delegierten Rechtsakt abzulehnen, jedoch nicht, ihn zu modifizieren. Nachdem am 18. Oktober 2023 im Europäischen Parlament eine Resolution zur Forderung einer Abschwächung der ESRS gescheitert ist, steht der praktischen Umsetzung der Berichtsstandards nichts mehr im Wege. Ab dem 1. Januar 2024 ist die Verordnung in ihrer Gesamtheit verbindlich und in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar für die darauffolgenden Geschäftsjahre anzuwenden.
Erster Schritt: Wesentlichkeitsanalyse
Eine Wesentlichkeitsanalyse ist als ein anhaltender Prozess zur Identifizierung und Bewertung verschiedener Nachhaltigkeitsthemen für ein Unternehmen zu verstehen. Sie ist von elementarer Bedeutung, da sie gemäß der ESRS für berichtspflichtige Unternehmen zwingend vorgeschrieben ist. Aus ihr geht u. a. hervor, welche der ESRS-Standards für das jeweilige Unternehmen wesentlich und somit CSRD-berichtspflichtig sind bzw. als unwesentlich einzustufen sind.
Darüber hinaus ist die Wesentlichkeitsanalyse eine strategische Methode, um festzustellen, welche Auswirkungen das Unternehmen auf die Umwelt hat und welche Auswirkungen die Umwelt auf das Unternehmen ausübt. Diese Analyse ermöglicht es Unternehmen, Handlungsfelder zu identifizieren und neue Geschäftschancen abzuleiten. Angesichts der wachsenden Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens ist eine Wesentlichkeitsanalyse für Unternehmen jeder Größe zu empfehlen.
Gemäß dem aktuellen EFRAG-Entwurf zum Umsetzungsleitfaden für die Wesentlichkeitsanalyse soll diese einige wesentliche Erkenntnisse liefern: Primär geht es um die Identifizierung signifikanter Sachverhalte und relevanter Informationen im Zusammenhang mit Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs) in ESG-Bereichen, also den ökologischen, sozialen und unternehmerischen Dimensionen von Nachhaltigkeit. Diese können auf der Perspektive der Auswirkungen oder der finanziellen Wesentlichkeit basieren. Die Wesentlichkeitsanalyse ist damit für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von entscheidender Bedeutung. Bei der Bewertung werden nicht nur die Tätigkeiten des Unternehmens, sondern die gesamte Wertschöpfungskette einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche berücksichtigt. Grundsätzlich ist es ratsam, Transparenz beim Verfahren zur Identifizierung und Bewertung wesentlicher IROs sowie bei ihrer Interaktion mit Strategie und Geschäftsmodell zu gewährleisten.
Sobald wesentliche IROs identifiziert sind, ist die Organisation berichtspflichtig gemäß Unternehmen der ESRS-Anforderungen. Wenn diese nicht ausreichend abgedeckt sind, müssen unternehmensspezifische Angaben gemacht werden, die sich auf Relevanz, Bedeutung und Entscheidungsnützlichkeit konzentrieren. Die Offenlegung von Informationen ist davon abhängig, ob es sich um Richtlinien, Ziele oder um Kennzahlen handelt. Während Grundsätze, Maßnahmen und Ziele veröffentlicht werden müssen, können beispielsweise nicht wesentliche Kennzahlen weggelassen werden. Querschnittsthemen müssen in jedem Fall berichtet werden.
Darüber hinaus gehört zu einer umfassenden Wesentlichkeitsanalyse das Verständnis des Engagements von Stakeholdern. Die Einbeziehung von Interessengruppen hilft dabei, die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu erfassen und die Bedeutung aus der Sicht der Interessengruppen zu bewerten. Die Bewertung der tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen erfolgt anhand von quantitativen oder qualitativen Schwellenwerten. Der Schweregrad hängt hierbei von der Größe, dem Umfang und der Unumkehrbarkeit der Auswirkungen ab. Ähnlich verhält es sich bei der Bewertung von Chancen und Risiken, für die beispielsweise Indikatoren zu den finanziellen Auswirkungen auf die Leistung, die Finanzlage, den Cashflow usw. berücksichtigt werden.
Standards erleichtern die Berichterstattung
Um den Unternehmen den Einstieg in die ESG-Berichterstattung und eine präzise Anwendung der Standards zu erleichtern, hat die EU-Kommission umfassende Anpassungen an der fachlichen Beratung der EFRAG vorgenommen. Diese Anpassungen konzentrieren sich insbesondere auf den Wesentlichkeitsansatz, die schrittweise Einführung bestimmter Vorschriften, die Umwandlung einiger Vorschriften in freiwillige Angaben und die Flexibilisierung von Angabevorschriften.
Grundsätzlich sollen die ESRS die Transparenz über Nachhaltigkeitsaspekte steigern, die Lücke an einheitlichen Regularien in der EU schließen und dadurch u. a. Greenwashing verhindern. Bei dem jetzt final vorliegenden sogenannten ersten Satz der ESRS handelt es sich um sektorübergreifende Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie gliedern sich zunächst in vier Bereiche: zum einen übergreifende Sachverhalte wie etwa Angaben bezüglich des Geschäftsmodells (ESRS 1 und 2), zum anderen thematische Standards für die Felder Umwelt (ESRS E1 bis E5), Soziales (ESRS S1 bis S4) und Unternehmensführung (Governance) (ESRS G1 und G2).
Gemäß den bisherigen Entwürfen zur Verordnung waren Teile der ESRS (z. B. E1) unabhängig von den Ergebnissen der vorgeschalteten Wesentlichkeitsanalyse verpflichtend anzugeben. Nun können alle Standards mit Ausnahme des ESRS 2 (Generelle Berichtspflichten) einer Wesentlichkeitsprüfung unterzogen werden.
Im ersten Anwendungsjahr sollen für alle Unternehmen Erleichterungen geschaffen werden, indem einige Angaben entfallen. Hierzu zählen im Bereich Umwelt Angaben zu potenziellen finanziellen Effekten umweltbezogener Risiken und Chancen (z. B. Verschmutzung, Biodiversität, Wasser). Dies gilt jedoch nicht für klimabezogene potenzielle finanzielle Effekte. Im sozialen Bereich sollen Erstanwender entlastet werden, indem z. B. bestimmte Daten in Bezug auf die eigenen Beschäftigten von der Berichtspflicht ausgenommen werden.
Sofern die Organisation weniger als 750 Mitarbeitende hat, sind zusätzliche Erleichterungen erwartbar. So entfallen im ersten Anwendungsjahr alle Angaben zu Scope-3-Emissionen und zu den eigenen Beschäftigten (S1). In den ersten beiden Anwendungsjahren entfallen alle Angaben zur biologischen Vielfalt (E4), zu Beschäftigten in der Wertschöpfungskette (S2), zum Gemeinwesen(S3) und zu Endverbrauchern (S4).
Darüber hinaus sollen die ESRS eine größere Flexibilität gewährleisten, insbesondere in Bezug auf die Offenlegung von finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken oder die Einbeziehung von Stakeholdern in die Wesentlichkeitsanalyse. Die Angabepflichten zu Korruption und Bestechung sowie zum Schutz von Whistleblowern wurden angepasst, um Konflikten mit dem Schutz vor Selbstbelastung vorzubeugen.
Leitlinien zur Anwendung der ESRS werden entwickelt
Trotz der Vereinfachungen sind mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung große Herausforderung verbunden. Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten entlang der gesamten Wertschöpfungskette und die Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Unternehmensumwelt erfordern die Einbeziehung von neuartigen Elementen in die Berichterstattung. Die EFRAG arbeitet an Leitlinien, die bei der Anwendung der ESRS unterstützen sollen. Entwürfe der Leitlinien zur Bewertung der Wesentlichkeit und zum Einbezug von Informationen aus den Wertschöpfungsketten in die Berichte liegen bereits vor. Zudem hat die EFRAG Ende Oktober eine Excel-Liste mit allen Datenpunkten der branchenübergreifenden ESRS veröffentlicht, die Anfang November aktualisiert wurde. Sie ist eine wichtige Orientierung hinsichtlich der zu berichtenden Daten, des Berichtsformats, der unterschiedlichen Zeitpunkte der Berichtspflicht sowie der Unterteilung in Pflichtangaben und freiwillige Angaben. Es können weitere Anpassungen durch
die EFRAG erfolgen.
Sektorspezifische Berichtsstandards sollen später kommen
Nach der CSRD muss die Europäische Kommission eigentlich bis zum 30. Juni 2024 ein zweites Paket von Berichtsstandards annehmen, welches weitere sektorspezifische Berichtsanforderungen für Wirtschaftsbereiche festlegt, die hohen Nachhaltigkeitsrisiken ausgesetzt sind. Ebenfalls Mitte 2024 wären Reportingstandards für Unternehmen mit Hauptsitz außerhalb der EU fällig. Die Verabschiedung des delegierten Rechtsakts zu diesem zweiten ESRS-Paket wird sich voraussichtlich auf Mitte 2026 verschieben. Die Europäische Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag eingebracht und hierzu am 24. Oktober 2023 eine zweimonatige Konsultation gestartet.
Die EFRAG entwickelt derzeit auch spezielle Standards für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU). Dies betrifft sowohl kapitalmarktorientierte KMU, die ab dem Geschäftsjahr 2026 berichtspflichtig sind, als auch nicht berichtspflichtige KMU, die sich freiwillig zur Berichterstattung entschließen. Ob jedoch der ursprüngliche Zeitplan für die Verabschiedung der KMU-Standards bis Mitte 2024 Bestand haben wird, darf ebenfalls in Frage gestellt werden.