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Digitale Gesundheitsanwendungen sind beliebt: 2017 nutzte hierzulande fast jeder Zweite eine Gesundheits-App – zum Beispiel, um die eigenen Vitalfunktionen zu überwachen oder Medikamente korrekt einzunehmen. Das neue Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG), das Anfang November vom Bundestag beschlossen wurde, wird diesen Trend weiter befeuern. Denn ab 2020 können Apps von Ärzten verschrieben werden, die Kosten dafür zahlt dann die gesetzliche Krankenversicherung. Welche Chancen und welche Risiken bergen die digitalen Helferlein im Gesundheitswesen? Mit dieser Frage haben sich die Stiftung Neue Verantwortung und die Bertelsmann Stiftung befasst. Kernaussage des Arbeitspapiers „Gesund dank Algorithmen?“: Richtig angewendet, unterstützen Gesundheits-Apps Patienten und Ärzte – sie können dabei helfen, bessere Entscheidungen schneller zu treffen. Größtes Manko: Es fehlen ausreichend formulierte Qualitätsstandards.
In ihrem Arbeitspapier geht Autorin Anita Klingel zunächst auf die Vorteile von Gesundheits-Apps ein, wobei sie die so genannten Lifestyle-Apps wie Fitness-Tracker oder Bewegungs-Apps nicht berücksichtigt. Gesundheits-Apps können medizinisches Fachpersonal entlasten und dadurch Kosten im Gesundheitswesen senken. So informieren sie den Arzt, wenn sich der Blutdruck eines Patienten verschlechtert, machen Apotheker auf mögliche Wechselwirkungen aufmerksam oder zeigen Pflegekräften auf einen Klick den individuellen Insulinbedarf ihrer Patienten. „Damit können freie Ressourcen automatisch dort zugeteilt werden, wo sie am nötigsten gebraucht werden, statt sie überall gleichzeitig vorhalten zu müssen“, heißt es in dem Papier.
Für Patienten haben Gesundheits-Apps ebenfalls viele Vorteile: Sie können zum Beispiel eigenständig und in Echtzeit ihre Blutzucker- und Blutdruckwerte messen, die Dauer und Intensität einer depressiven Episode feststellen oder Asthma-Monitoring betreiben. Einige Apps bieten auch Erstdiagnosen an oder informieren über bewährte Haus- und Heilmittel für bestimmte Krankheiten. Ein weiterer Vorteil: Gesundheits-Apps lassen sich individuell an den Patienten anpassen – und sie erreichen durch ihren oft spielerischen Ansatz auch Gesundheitsmuffel leichter.
Die Kehrseite der Medaille: Allein im deutschsprachigen Raum gibt es rund 13.000 Gesundheits-Apps, es fehlt jedoch an Transparenz, was die Qualität angeht. Zwar gibt es in Deutschland bereits entsprechende Gütesiegel, Experten wie Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik an der Medizinischen Hochschule Hannover, zeigen sich jedoch verhalten: Es ließe sich oft nicht nachvollziehen, was in welcher Tiefe mit welchen Methoden geprüft wurde. Hinzu kommt, dass die meisten Gesundheits-Apps bisher nicht von Anbietern mit medizinischem Hintergrund entwickelt werden, sondern von IT-Dienstleistern und Beratungsunternehmen. Aktuelles Beispiel: Im neuen Report „Pflege und digitale Technik“ des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) wurde der Health-App-Markt gezielt auf Pflege-Apps untersucht. Definiert wurden 35 relevante Pflege-Apps, rund die Hälfte stammte von kommerziellen Anbietern, überwiegend von Softwareunternehmen. Defizite zeigten sich bei der Qualitätssicherung: Von den 35 Apps wiesen nur sieben explizit evidenzbasierte Inhalte auf.
Eine Marktübersicht über die Gütesiegel bietet die Online-Plattform HealthOn, nach eigenen Angaben die größte Info- und Bewertungsplattform für Health-Apps. Die „Weiße Liste“, ein Angebot der Bertelsmann Stiftung zur Unterstützung bei der Arzt- und Krankenhaussuche, soll demnächst um eine solche Funktion erweitert werden. Gefördert vom Bundesgesundheitsministerium, hat die Bertelsmann Stiftung zudem ein Gütekriterien-Kernset für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) entwickelt. Das „AppQ“ besteht derzeit aus 24 Kriterien, die in neun Themenbereiche gegliedert sind: darunter „Medizinische Qualität“, „Positive Versorgungseffekte“, „Datenschutz“ sowie „Verbraucherschutz und Fairness“.
Ein weiterer Kritikpunkt bei den Gesundheits-Apps ist die Datensouveränität: Vor allem bei kostenfreien Apps kann es vorkommen, dass Anwender die Leistung durch Preisgabe ihrer Daten bezahlen. Experten raten daher, dass Nutzer sich vorab genau informieren und darauf achten sollten, welche Berechtigungen eine App anfordert und diese gegebenenfalls nicht erteilen.
„Wichtig ist es, eine Balance zwischen Innovation und Nutzersicherheit zu finden“, so Autorin Anita Klingel. „Wird die Entwicklung einer womöglich lebensrettenden App von einem Übermaß an Vorschriften erstickt oder finanziell untragbar gemacht, können Patienten nicht davon profitieren. Umgekehrt erfordern die hochsensiblen Gesundheitsdaten besonderen Schutz.“
Damit Algorithmen auch wirklich gesund machen und Gesundheits-Apps zielführend und sinnvoll eingesetzt werden können, empfiehlt das Arbeitspapier folgende Maßnahmen:
Das neue Digitale-Versorgungs-Gesetz sieht ein zentrales Verzeichnis vor, in das Hersteller ihre Apps künftig eintragen lassen können. Diese werden dann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datensicherheit und Datenschutz geprüft und danach ein Jahr lang vorläufig von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. In dieser Zeit muss der Hersteller beim BfArM nachweisen, dass seine App die Versorgung der Patienten verbessert.
Mehr Regulierung auf dem App-Markt soll auch die neue Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) bringen, die voraussichtlich im Mai 2020 in Kraft treten wird. Durch die MDR werden deutlich mehr Apps zum Medizinprodukt hochgestuft – was den Aufwand für die Hersteller steigen lässt.
Anita Klingel, Arbeitspapier Gesund dank Algorithmen? Chancen und Herausforderungen von Gesundheits-Apps für Patient*innen, Hgg.: Stiftung Neue Verantwortung, Bertelsmann Stiftung, Oktober 2019, 33 Seiten, Download
BfArM: Digitales-Versorgung-Gesetz
Information des Bundesgesundheitsministeriums zum DVG
Report „Pflege und digitale Technik“ des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) (Seite 35-42, S. 55-57)
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