Suche
Leben wir wirklich in einer Ego-Gesellschaft? Wer den Deutschen Engagementpreis kennt, wird diesem Allgemeinplatz widersprechen. Als Dachpreis für Preisträgerinnen und Preisträger von rund 700 Wettbewerben gilt er als „Oscar“ bürgerschaftlichen Engagements hierzulande. Aktuell wurden Menschen ausgezeichnet, die unsere Gewässer vor Mikroplastik schützen, den Hass im Netz bekämpfen, benachteiligte Kinder unterstützen und Missstände in der Massentierhaltung aufdecken. Mehr als 31 Millionen Bundesbürger leisten Freiwilligenarbeit für die Gemeinschaft – das sind viele Menschen und doch weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Die Trendinfo-Redaktion sprach mit Ulla Kux, Leiterin des Deutschen Engagementpreises, über Stärken und Probleme der Freiwilligenarbeit und darüber, was deren Attraktivität erhöht.
Trendinfo-Redaktion: Frau Kux, was genau ist der Deutsche Engagementpreis?
Ulla Kux: Der Deutsche Engagementpreis ist Dachpreis des freiwilligen Engagements. Alle, die im Vorjahr einen Engagementpreis gewonnen haben, können für die Teilnahme am Wettbewerb des Deutschen Engagementpreis nominiert werden. Jährlich werden unsere Preisträger bei einer großartigen Preisverleihung in Berlin öffentlich ausgezeichnet. Gewürdigt werden Gruppen, Vereine, Einzelpersonen oder auch Unternehmen, die sich in beispielhafter Weise freiwillig für das Gemeinwesen einsetzen.
Was ist der Zweck des Preises?
Unser Ziel ist es, zur Anerkennung und Sichtbarkeit von bürgerschaftlichem Engagement beizutragen und Menschen für das Mitmachen zu begeistern. Sozial gesehen machen Engagierte Solidarität erfahrbar, sie stärken gesellschaftlichen Zusammenhalt. Politisch sind die Engagierten die Akteure der Demokratie und stehen für Verantwortung, Selbstbestimmung und Teilhabe. Der Deutsche Engagementpreis stellt die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements in seiner ganzen Vielfalt heraus und zeigt, was Menschen bewegt.
Was bewegt denn die Menschen? In welchen Themenbereichen tummeln sie sie sich besonders engagiert?
Sehr viele Menschen engagieren sich für Kinder und Jugendliche sowie bei Sport und Bewegung, ebenso für Kultur. Wir beobachten aber mehr Öffentlichkeit für Nachhaltigkeit und Umwelt.
Was motiviert Menschen zum freiwilligen Engagement?
Weil ihnen die Tätigkeit „Spaß macht“ ist eine der häufigsten Antworten, die der Freiwilligen-Survey erhoben hat, gefolgt von: Die Engagierten suchen Begegnung, neue Erfahrungen und wollen gestalten. Oftmals wollen Engagierte etwas Gutes richtig machen und etwas Richtiges gut machen. Ob im Hintergrund eine gute Struktur das Engagement wirksam werden lässt, ist dafür mitentscheidend.
Und doch ist die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hierzulande nicht engagiert. Was hält sie davon ab?
Zunächst sollte man anerkennen, dass die erwähnten 30 Millionen Menschen sich engagieren. Das ist ein Schatz, und vermutlich werden wir von vielen anderen Gesellschaften darum beneidet. Die jüngeren und mittleren Altersgruppen sind besonders zahlreich engagiert. Viele finden in das Engagement durch Familiengründung, z.B. im Umfeld von Schule, Kindergarten, Musik oder Sport ihrer Kinder. Überdurchschnittlich engagiert sind Menschen mit sogenannten höheren Bildungsabschlüssen. Vielleicht gelingt es den Vereinen und Netzwerken noch nicht immer, eine attraktive Sprache für alle zu finden, unabhängig von Alter, sozialer Schicht und Gruppenzugehörigkeit.
Die Bereitschaft, sich zu engagieren, nimmt laut Deutschem Freiwilligen-Survey zu, die aktive und langfristige Vereinsmitgliedschaft geht jedoch zurück und beschert den etablierten Einrichtungen erhebliche Nachwuchsprobleme. Wie sollte sich eine zeitgemäße Engagements- und Ehrenamtskultur neu aufstellen?
Tatsächlich hat das traditionelle Ehrenamt Sorgen, wo z.B. früher die Kinder in festen sozialen Milieus den Eltern in die Freiwillige Feuerwehr gefolgt sind. Die Gesellschaft hat sich verändert, ist mobiler geworden. Viele junge Menschen engagieren sich befristet und aktionsbezogen. Die Forschung beschreibt das schon langjährig als „neues Engagement“. Man kann nicht alles „richtig aufstellen“, denn Engagement wird nicht gesteuert. Aber es gibt förderliche Bedingungen. Zum Beispiel braucht Engagement Räume. Das Bündnis für Gemeinnützigkeit engagiert sich für Entbürokratisierung von öffentlicher Unterstützung, das ist ein großes Thema für viele. Nicht zuletzt finden auch Unternehmen Möglichkeiten, ihre Mitarbeitenden beim freiwilligen Engagement zu unterstützen.
Engagement heißt für viele Menschen mehr als Ehrenamt: Sie wollen politisch mitwirken und mitgestalten, etwa in der Stadtentwicklung, bei Fragen der Energieversorgung und Verkehrspolitik in ihrer Kommune. Inwieweit erleben wir hier gerade eine Veränderung der politischen Repräsentation in unserem Land?
Die Situation ist nicht eindeutig. Unübersehbar mobilisieren große Infrastrukturprojekte die Meinungsbildung, man denke an Stuttgart 21. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Bürgerinnen und Bürger viele Mitwirkungsmöglichkeiten nicht nutzen. Aber in zahlreichen Kommunen verbreiten sich aktivierende, moderierte Beteiligungsmodelle, die auch zu neuen Ergebnissen führen. In jedem Fall reicht es nicht aus, dass bei Entscheidungen die Bürgerinnen und Bürger wählen und dann repräsentiert werden. Fridays for Future steht beispielhaft für eine Bewegung, die, ohne starken Apparat, wirksam kritisiert: Unsere Generation und Zukunft werden nicht repräsentiert! Die Teilnehmer koordinieren sich durch soziale Medien. Solche Formen und Beteiligungsmodelle, gerade in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, erproben etwas: Wie wollen wir künftig Demokratie organisieren und Zusammenleben ausgestalten?
Welche Maßnahmen könnten denn Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement attraktiver machen? Im Gespräch sind viele Ideen, etwa die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die Erhöhung der Ehrenamtspauschale und die Stärkung von Jugend- und Bundesfreiwilligendienst?
Teilweise fehlt den Engagierten Vernetzung, Austausch und Qualifizierung. Hier sollten Strukturen öffentlich stärker unterstützt werden. Zu den Rahmenbedingungen, die aktuell diskutiert werden, zählt, dass Vereine, die sich politisch zu Wort melden, plötzlich um ihre Gemeinnützigkeit fürchten müssen. Das Bündnis für Gemeinnützigkeit sieht das mit Sorge und ist, wie viele andere, im Gespräch mit der Politik. Und schließlich: Man muss die Engagierten und ihre Leistungen sichtbar machen, anerkennen, würdigen und bestärken – hier ist der Deutsche Engagementpreis aktiv.
Derzeit läuft die Nominierung für 2020 – ist für Sie schon ein thematischer Trend erkennbar?
Man darf gespannt sein. Mich persönlich freut es besonders, wenn dabei Gruppen und Impulse hervortreten, die sonst zu wenig wahrgenommen werden, seien es Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Gruppen mit seltenen Krankheiten – und am Ende die ganze Vielfalt und Breite zusammenkommt und selbstbewusst aufsteht. Und über den Publikumspreis können alle Bürgerinnen und Bürger mit abstimmen und einen Trend setzen!
Der Deutsche Engagementpreis wird vom Bündnis für Gemeinnützigkeit verliehen, einem Zusammenschluss von großen Dachverbänden und unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft. Gefördert wird der Preis vom Bundesfamilienministerium, der Deutschen Fernsehlotterie und der Deutsche Bahn Stiftung.
Wer sich selbst engagieren möchte, kann sich an eine der bundesweit 500 Freiwilligenagenturen wenden, direkt bei einer gemeinnützigen Organisation nachfragen oder sich auf der Website des Deutschen Engagementpreises informieren:
Soziales
„Gutes richtig machen und Richtiges gut machen“
Fundraising
Gemeinnütziges Vererben im Aufwind
Fundraising
Uni-Kliniken: Wer spendet und warum?
Gesundheit
Schwächen Fitness-Apps das Solidarprinzip der Krankenversicherung?
Pflege
Fachkräfte: Kaum gekommen, schon zerronnen
Bildung
Drastischer Personalmangel in der Kita-Betreuung
Ökologie
Mikroplastik: Letzter Ausweg kalter Entzug
Buchempfehlung
Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail