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Der Ausflug in den Zoo muss ausfallen, die Musikwerkstatt bleibt geschlossen, und mancherorts drohen eingeschränkte Öffnungszeiten oder sogar Schließung: unschöne Schlaglichter des Fachkräftemangels in Kindergärten. 60 Prozent der Einrichtungen bundesweit beklagen unbesetzte Stellen, 90 Prozent haben in den vorangegangenen zwölf Monaten zeitweise mit erheblichem Personalmangel gearbeitet. Wie schon der Gesundheits- und Pflegesektor hat sich der Erzieherberuf zu einem Engpassberuf entwickelt. Mehr noch: Nach einer aktuellen Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird sich der Fachkräftemangel in Zukunft deutlich verschärfen.
Die Studie basiert auf einer repräsentativen Arbeitgeberbefragung im Jahr 2017/18, an der mehr als 10.000 Einrichtungen teilgenommen haben. Demnach ist ein ganzes Ursachenbündel für die Rekrutierungsprobleme im Erzieherberuf verantwortlich: der Rechtsanspruch auf einen Kita- und Krippenplatz seit Inkrafttreten des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) im Jahr 2008, die gestiegene Geburtenrate, der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren und der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen bis 2025. Auch das vergleichsweise hohe Alter der Beschäftigten verschärft die Situation auf dem Arbeitsmarkt.
„Der Erzieherberuf hat stark an Bedeutung gewonnen“, bilanziert IAB-Forscherin Anja Warning den enormen Personalzuwachs in der frühkindlichen Betreuung und Erziehung. „Diese Entwicklung steht auch in Zusammenhang mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Müttern.“ Allein im Zug des Kita-Ausbaus zwischen 2010 und 2018 stieg die Zahl der Erzieherinnen und Erziehern von 300.000 auf 400.000 Beschäftigte. Parallel dazu hat die Zahl der betreuten Kinder erheblich zugenommen: in der Altersgruppe unter drei Jahren von 313.000 (2008) auf 665.000 (2018), von drei bis unter sechs Jahren auf 2,1 Millionen, zwischen sechs und elf Jahren auf 840.000.
Zum Haupttätigkeitsfeld von Erzieherinnen und Erziehern kommt die Beschäftigung in Heimerziehung, Grundschulen und in der Betreuung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge. Insgesamt waren knapp 780.000 Fachkräfte bundesweit in Kinderbetreuung und -erziehung tätig (2018), worunter die Statistik auch Kinderpflegerinnen und -pfleger fasst. 94 Prozent von ihnen waren weiblich, 60 Prozent arbeiteten in Teilzeit. Gemäß der Studie sind davon geschätzt 700.000 als Erzieherinnen und Erzieher beschäftigt.
Wichtiges Kriterium für den künftigen Personalbedarf ist die Fachkraft-Kind-Relation. Die von Experten pädagogisch empfohlene Relation liegt gemäß Studie bei 1:4 für Unter-Dreijährige und 1:10 bei Drei- bis Sechsjährigen, wird jedoch nur selten erreicht. Für ein sofortiges Erreichen müssten mehr als 100.000 Fachkräfte zusätzlich eingestellt werden (laut Bertelsmann-Stiftung); für die geplante Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern kommt für 665.000 neue Plätze (laut Deutsche Jugendinstitut) ein Zusatzbedarf von mehr als 33.000 Fachkräften (laut IAB) hinzu.
Arbeitsmarktdaten zeigen, dass Arbeitgeber in den Erzieherberufen große Schwierigkeiten mit der Stellenbesetzung haben. Während es bei Ausschreibungen über alle Berufe hinweg im Durchschnitt elf Bewerbungen gab, waren es bei Erzieherstellen nur fünf. Zwischen dem Beginn der Suche durch den Arbeitgeber und dem Arbeitsbeginn der eingestellten Person vergehen im Erzieherberuf durchschnittlich 101 Tage, in allen anderen Berufen lediglich 89 Tage. „Neben einer zu geringen Bewerberzahl wird aus Sicht der Arbeitgeber die mangelnde Qualifikation der Bewerber zunehmend zum Problem“, stellt die Studie fest. Dies alles weist auf einen gravierenden Attraktivitätsmangel der Erzieherberuf hin, darauf, „dass viele Fachkräfte vor allem hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entwicklungsmöglichkeiten und der Bezahlung unzufrieden sind (…).“ Heißt konkret: „Ein Großteil (72 %) befindet sich demnach in einer Gratifikationskrise: Für sie überwiegen ihre beruflichen Anstrengungen bei Weitem die Anerkennung und die Entlohnung, die sie erhalten.“
Die aktuellen Rekrutierungsprobleme werden sich verschärfen, ist Autorin Warning überzeugt. Dafür werde alleine schon die geplante Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen sorgen. Bund, Länder und Kommunen sind zu schnellem Handeln aufgerufen und zwar durch folgende Maßnahmen:
Eigentlich, so gibt die Autorin zu bedenken, könnte die Politik durch die handfeste Verbesserung der beruflichen Perspektiven von Erzieherinnen und Erziehern nur punkten – eine klassische Win-Win-Situation: Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2018) unterstütze eine große Bevölkerungsmehrheit den Personalausbau und insgesamt die Aufwertung des Erzieherberufs.
Anja Warning, Engpässe werden immer stärker sichtbar. Rekrutierungssituation im Beruf der Erzieherin/des Erziehers. IAB-Kurzbericht, 2/2020, Hg.: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, 11 Seiten, Download
Vergleiche zum Thema den Forschungsschwerpunkt der Bertelsmann Stiftung (2019) mit breitem Datenmaterial und bildungspolitischen Erörterungen: Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme: https://www.laendermonitor.de/de/startseite
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