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Wie viel lassen wir uns unsere Lebensmittel kosten? Die Preise sollen verbraucherfreundlich sein, den Erzeugern ein faires Auskommen sichern und nicht zulasten der Umwelt gehen. Tatsächlich machen sich Verbraucher nur selten Gedanken über die wahren Kosten ihres Einkaufs, die auf keinem Kassenzettel stehen. Ein Experiment des zur REWE-Gruppe gehörenden Discounters Penny geht den ökologischen Zusatzkosten von Lebensmitteln nach und lässt den Schluss zu: An der Supermarktkasse wird nur ein Dumpingpreis fällig.
Was auf den ersten Blick das Verbraucherherz erfreut, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die berühmte Milchmädchenrechnung, will das Projekt deutlich machen. Im ersten „Nachhaltigkeits-Erlebnismarkt“ von Penny in Berlin-Spandau erhalten ausgewählte Produkte eine doppelte Preisauszeichnung: mit dem fälligen Verkaufspreis und dem wahren Preis („True Costs“), der die versteckten sozialen und ökologischen Kosten einschließt. Forschende der Universitäten Augsburg und Greifswald begleiteten das Vorhaben.
Tobias Gaugler vom Institut für Materials Resource Management an der Universität Augsburg erläutert den Hintergrund: „Die aktuellen Verkaufspreise für Lebensmittel spiegeln die Kosten der Umweltfolgen von Stickstoff, Klimagasen und Energieerzeugung nicht oder nur unzureichend wider. Die Schadkosten fallen aber dennoch an, eben nur versteckt.“ Damit rücken die „negativen externen Effekte“ ins Blickfeld. Sie werden indirekt von der Gesamtgesellschaft getragen und finden sich in der Wasser- und Stromrechnung (Trinkwasseraufbereitung, Energiekosten) sowie im Steueraufkommen (Umweltschutz) wieder.
Die Wissenschaftler*innen bezogen acht Produkte in die Kalkulation ein, jeweils aus konventioneller und biologischer Erzeugung. Alle Produkte verursachen Aufschläge bei den wahren Kosten:
Die Aufschläge sind teils erheblich, insbesondere bei Fleisch und Milchprodukten, ergibt die Berechnung der Forscher*innen. Hier schlagen Futtermittel, Treibhausgase (Methan), Stickstoffkosten (Exkremente) und Grundwasserbelastung besonders stark zu Buche.
So müsste der Preis für Fleisch aus konventioneller Aufzucht bei Berücksichtigung der versteckten Kosten um 173 Prozent zulegen – 500 Gramm gemischtes Hackfleisch würden sich folglich von 2,79 Euro auf 7,62 Euro verteuern.
Milch käme 122 Prozent teurer, Gouda-Käse 88 Prozent. Deutlich geringer wären die Aufschläge bei Obst und Gemüse. Bei Bio-Produkten ist der Unterschied zwischen Verkaufspreis und wahren Kosten kleiner, da die Umweltbelastungen geringer sind. Doch auch bei Biofleisch müsste der Verbraucher 126 Prozent zusätzlich berappen. Insgesamt gilt für einen Einkaufskorb, der die versteckten Kosten einrechnet: „Unter Berücksichtigung der Verzehrgewohnheiten ergibt sich ein Zuschlag von 52 Prozent (konventionell) und 32 Prozent (ökologisch).“
Darin sind noch längst nicht alle externen Kosten enthalten. Weitere Indikatoren entlang der landwirtschaftlichen Produktionskette fanden aufgrund unzureichender Datenlage keine Berücksichtigung: Gesundheitsschäden durch Pestizidgebrauch, Antibiotika und Phosphatdüngung sowie Aspekte von Tierwohl und Fehlernährung. Sie würden die wahren Kosten erhöhen, jedoch den biologisch erzeugten Lebensmitteln einen relativen Vorteil verschaffen.
„Mit dem Projekt möchten wir Transparenz über die Folgekosten unseres Konsums schaffen. Wir wollen damit eine Diskussion anstoßen und keine Schuldzuweisung formulieren“, zieht ein Unternehmenssprecher bei Penny ein vorläufiges Resümee. Weder wolle man künftig die Produkte teurer machen, noch auf Sonderangebote verzichten. Zur Lenkungswirkung der doppelten Preisauszeichnung liegen derzeit noch keine sicheren Erkenntnisse vor. „Es ist ein Experiment, ob ein derart komplexes Thema in einem Discounter und der alltäglichen Einkaufshektik transportiert werden kann. Sollte dem so sein, dann wäre die verstärkte Nachfrage nach Bio-Produkten ein Indiz dafür“, so ein Sprecher gegenüber BFS-Trendinfo.
Es werde aber gewiss noch einige Zeit dauern, bis sich ein stabiler Trend als Entscheidungsgrundlage herausgeschält habe. Nicht zuletzt die Verunsicherung durch die Corona-Pandemie erschwere die Einschätzung.
So liegt es auch am Verbraucher, inwieweit er dem Wunsch nach nachhaltigem Konsum auch bei Einkauf im Supermarkt nachkommt. Bei Penny wartet man ab: Das Projekt bleibt vorerst auf die Berliner Filiale beschränkt. „Eine Ausweitung ist zwar theoretisch denkbar, aber aktuell nicht geplant.“
Weitere Informationen:
Maximilian Pieper / Amelie Michalke / Tobias Gaugler: Calculation of external climate costs for food highlights inadequate pricing of animal products, Nat Commun 11, 2020, Download
Elisabeth Kagermeier, Lebensmittelpreise in Deutschland: Angemessen – oder zu billig? Bayrischer Rundfunk, 06.02.2020, Download
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