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Es war der 20. August 2018, als die damals 15-jährige Greta Thunberg mit ihrem „Schulstreik für das Klima“ vor dem Reichstag in Stockholm für erste Schlagzeilen sorgte. Wenige Monate später war daraus die weltweite Bewegung für eine neue Klimapolitik geworden, die als „Fridays for Future“ (FFF) Millionen Jugendliche auf die Straße brachte. Greta und ihre Anhänger hatten es zwar rasch zur medialen Dauerpräsenz geschafft, dennoch wissen wir wenig Genaues: Wer macht eigentlich mit, welche Motive leiten die Protestierenden? Haben wir es mit einer international einheitlichen Protestformation zu tun? Ein europaweites Forschungsprojekt gibt Antwort.
Zwei ausführliche Publikationen geben Auskunft: ein deskriptiver internationaler Bericht und eine speziell auf die deutsche Situation fokussierte Analyse, auf die sich folgende Darstellung im Wesentlichen stützt. Den Untersuchungen liegen 5.000 Rückläufer aus der Erhebung zu den Klima-Demonstrationen in 13 europäischen Städten am 15. März 2019 zugrunde.
„Insgesamt handelt es sich bei FFF um eine außergewöhnlich junge Protestbewegung“, resümiert die Studie im Vergleich zu Pegida, Stuttgart 21, TTIP und G20. Unter den Befragten war der Anteil von Schüler*innen (49,3 %) und Erwachsenen, die nicht mehr zur Schule gehen (50,7 %), nahezu gleich groß. Die Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen war jedoch am stärksten vertreten (51,5 %). Folglich sind bei FFF überdurchschnittlich viele Erstdemonstrierende bzw. Protestneulinge dabei. In fast allen europäischen Städten stellten Frauen die Mehrheit, hierzulande machen sie – so wie in Europa insgesamt – rund 60 Prozent aus.
Die Studie konstatiert eine starke soziale Selektion der Demonstrierenden zugunsten des Bildungsbürgertums. Ein beachtlicher Anteil besteht aus Schüler*innen und Studierenden (71,8 %), hat Fachhochschulreife, Abitur, ein abgeschlossenes Studium oder strebt eine dieser Optionen an (87,2 %). Von 45,8 Prozent der Schüler*innen hat die Mutter einen Hochschulabschluss, von 49,4 Prozent der Vater – doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung.
Die Motivfrage nimmt einen zentralen Stellenwert beider Studien ein. Klimawandel und Zukunftssicherung, nicht überraschend, sind der häufigste Antrieb der jungen Menschen. Sie wollen der Politik Druck machen, klimapolitische Versprechen endlich einzulösen: „Weil sich in der Politik etwas ändern muss und wenn die das nicht angehen oder merken, müssen wir halt für unsere Zukunft kämpfen!“, lautet eine typische Antwort der Befragten. Auch individuelle Motive treten zutage, zum Beispiel: „Mein Arbeitsplatz (Forstwirtschaft) hängt vom Klima ab. Außerdem bin ich sehr naturverbunden, das Aussterben von Tier-, Insekten- und Pflanzenarten erschreckt mich (…).“
Die Befragungsergebnisse widersprechen der häufigen Behauptung, bei den jungen Leuten dominiere der Reiz des Events oder einfach nur des Schuleschwänzens. 82 Prozent der Befragten bekunden ein großes bis sehr großes Interesse an Politik. Bei alledem wirkt Greta Thunberg als starke Führungsfigur (65 %). „Ihre medienwirksamen Auftritte auf dem Parkett der nationalen und internationalen Politik zeigten das Potential jugendlichen Engagements und motivierten damit auch diejenigen, die sich bisher wenig für Politik und Klimaschutz interessierten“, zitieren die Autoren eine gängige Deutung des „Phänomens Greta“. Mädchen fasziniert es mehr als Jungen.
Vielfältige Vorstellungen kursieren, wie dem Klimawandel begegnet werden sollte. Die Antworten reichen von individuellen Verhaltensänderungen (Fleisch- und Plastikkonsum reduzieren, Fahrradfahren) bis hin zu strukturellen Maßnahmen (Kohleausstieg, Auflagen für die Industrie, Erschwerung der Massentierhaltung). Eine knappe Hälfte der Befragten bejaht die Notwendigkeit einer freiwilligen Änderung des Lebensstils (47,8 %), eine große Mehrheit stimmt bedingt zu (83,7 %).
Die Demonstranten haben nur wenig Vertrauen in Unternehmen (13,5 %) und Regierungen (13,8 %) als Klima-Problemlöser. Hohe Kompetenz schreiben sie dagegen der modernen Wissenschaft zu (88,9 %).
Persönliche Kontakte wichtiger als soziale Netzwerke
Bei der Mobilisierung zum Protest waren fast der Hälfte der Schüler*innen persönliche Kontakte mit Freund*innen und Bekannten wichtiger als digitale soziale Medien. Austausch mit der Familie spielt für sie bei diesem Thema keine Rolle. „Dies ist ein Hinweis darauf, dass die medial verbreitete These von der Manipulation der Demonstrierenden durch Parteien oder Umweltschutzorganisationen nicht zutrifft“, schlussfolgern die Studienautor*innen.
Die Jugendlichen glauben fest an die Gestaltbarkeit ihrer Zukunft, FFF verhilft ihnen dazu, sich selbst als wirkmächtig wahrzunehmen. Doch welchen Parteien kommt dieser Optimismus zugute? In ihrer politischen Selbsteinschätzung positionieren sich die Demonstrierenden überwiegend links der Mitte (72 %). Soweit sie einer Partei zuneigen, liebäugeln sie mit den Grünen (60 %). „Diese Werte legen nahe, dass insbesondere diese Partei von einer weiteren Ausdehnung der Kampagne profitieren könnte. CDU/CSU und SPD hingegen müssen bei einer weiterhin zurückhaltenden Klima- und Umweltschutzpolitik befürchten, die durch die Klimafrage politisierten Jugendlichen langfristig zu verlieren“, äußert die Studie.
Die international angelegten Erhebungen zu FFF zeigen neben grundlegenden Gemeinsamkeiten – starke weibliche Mobilisierung, hohe jugendliche Beteiligung und grün-linke Politikaffinität – bemerkenswerte nationale Besonderheiten. So fällt für Schweden die Allianz von ganz Jung und ganz Alt auf: Die Gruppe der über 65-Jährigen folgt mit knapp 15 Prozent den 14- bis 19-Jährigen an zweiter Stelle. Auffallende Unterschiede zwischen den nationalen Protestbewegungen herrschen auch etwa beim Vertrauen in die Lösungskompetenz von Politik und Marktwirtschaft sowie in die Wirksamkeit individueller Lebensstiländerungen.
Wie geht es weiter? „Im Unterschied zu anderen Bewegungen, etwa Occupy, Pulse of Europe und Gilets Jaunes, deren Niedergang halbwegs vorhersehbar war, nehmen wir mit Blick auf FFF eine abwartende Haltung ein“, bekennen die Autor*innen. Eine gerade erschienene Folgestudie des internationalen Forschungsprojekts konstatiert eine abnehmende Bedeutung des „Greta-Effekts“ zugunsten zahlreicher lokaler Führungspersonen außerhalb Schwedens. Überdies könnte die Klärung systemkritischer Positionen (Postwachstumsökonomie, alternative Formen demokratischer Partizipation) zum Prüfstein der Bewegung werden. Dennoch bleibe wichtig, dass ein derartiges Engagement in jungen Jahren einen starken Einfluss auf das Interesse an Politik und das Engagement im weiteren Leben habe.
Moritz Sommer / Dieter Rucht / Sebastian Haunss / Sabrina Zajak, Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland, Institut für Protest- und Bewegungsforschung, ipb working paper 2/2019, 49 Seiten. Erstellt mit finanzieller Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung, Download
Mattias Wahlström / Piotr Kocyba / Michiel De Vydt / Joost de Moor (Hg.), Protest for a future I: Composition, mobilization and motives of the participants in Fridays For Future climate protests on 15 March, 2019 in 13 European cities, 2019, 121 Seiten, Download
Folgestudie „Protest for a Future II“, 2020, 256 Seiten, Download
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