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Einen Naschhappen jetzt sofort oder zwei, wenn du dich beherrscht! Im berühmten Marshmallow-Experiment bekamen Vorschulkinder die begehrte Schaumzucker-Leckerei vorgesetzt. Wenn sie ihrer Naschlust eine Weile widerstanden, wurden sie mit der doppelten Portion belohnt. Der Erfinder des Experiments, der US-Psychologe Walter Mischel, schloss vom Verhalten der Kinder auf ihre Fähigkeit zur Selbstbeherrschung, beobachtete ihre weitere Entwicklung und schlussfolgerte: Selbstregulation ist eine lebenslange Schlüsselkompetenz. Eine aktuelle Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) macht sich diese These zu eigen und weist der Kita-Pädagogik dabei eine zentrale Rolle zu.
Was die Fachwelt Selbstregulation nennt, heißt im Alltag Selbststeuerung, Selbstbeherrschung oder Impulskontrolle. Seit den Forschungen Mischels in den 1960er Jahren gilt Selbstregulation als zentrale Voraussetzung persönlicher Autonomie, ja, als „Super-Skill“. Das drückt auch der Titel vorliegender KAS-Publikation aus: „Alles im Griff – Selbstregulation macht Kita-Kinder stark für die Zukunft.“
Für Autor Michael Fritz ist Selbstregulation eine „wichtige Grundlage zu Lebensglück und persönlicher Erfüllung“. Fritz ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, der nach eigenen Angaben größten frühkindlichen Bildungsinitiative im Bereich Naturwissenschaften, Mathematik und Technik in Deutschland.
Tatsächlich messen Wissenschaftler dem Marshmallow-Experiment einige Vorhersagekraft bei: Danach schnitten Teilnehmer mit guter Selbstbeherrschung auch im späteren Leben überwiegend gut ab. Sie waren gesünder, seltener drogenabhängig, verschuldet oder kriminell und lebten in stabileren sozialen Beziehungen. „Selbstkontrolle ist somit die Variable, die künftigen Lebenserfolg bereits im Kindesalter am besten vorhersagt“, bilanziert Pädagoge Fritz.
Der Bildungsforscher erinnert an den schon bei Säuglingen angelegten Drang zur Welterforschung. Erst wenige Wochen auf der Welt, fangen sie an, tastend ihre Umgebung zu entdecken. Frühe MINT-Bildung sei in besonderer Weise geeignet, Kinder bei ihrer entdeckend-forschenden Beschäftigung zu fördern und dabei zentrale Grundkompetenzen für autonomes Denken und Handeln herauszubilden.
Zu diesen Grundkompetenzen zählt der Autor – natürlich – Impulslenkung und Belohnungsaufschub. Weiterhin gehören die Verknüpfung neuer Erfahrungen mit bestehendem Wissen und das Abwägen konkurrierender Problemlösungen dazu. Wichtig ist auch die „kognitive Flexibilität“ – das Vermögen, die Gleise liebgewordener Routinen zu verlassen, um ein Problem von unterschiedlichen Seiten zu betrachten und neue Lösungen anzupacken.
Die Vermittlung dieser Grundkompetenzen ist vornehmste Aufgabe der Bildung und ihrer Einrichtungen, legt die Abhandlung nahe. Denn heutige Kinder wachsen mehr denn je in die VUCA-Welt hinein – ein Akronym für die englischen Begriffe für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität („complexity“) und Mehrdeutigkeit („ambiguity“). In dieser Welt geht es um agile Strategien für unkalkulierbare Zeiten, um die Steuerung disruptiver Prozesse, darum, die Zukunft vorauszudenken.
Der traditionelle Bildungskanon und die Beherrschung von Routinetätigkeiten genügen den Anforderungen künftiger Gesellschaften nicht länger, meint Fritz. Unter den Vorzeichen der VUCA-Welt sollte das Bildungssystem neu gedacht werden, fordert er. „Meta-Kompetenzen für die Zukunft“ erwerben Kinder demzufolge nur in der Auseinandersetzung mit konkreten Inhalten in der Gegenwart: „Entscheidend ist, dass diese Inhalte für das Kind selbst in der konkreten Situation von Bedeutung sind und dass es sich in der Auseinandersetzung mit ihnen am Ende – manchmal nach mühsamer Arbeit, überwundener Frustration und erneutem Ausprobieren kreativer Ideen – als erfolgreich erlebt.“
Womit es wieder um die Selbstregulation geht: „Kitas kommt die besondere Verantwortung zu, Bildungsorte zu werden, an denen die Fähigkeit zur Selbstregulation eingeübt werden kann.“ Sie müssen gestärkt werden, um ihrem Bildungsauftrag gerecht werden zu können, fordert Pädagoge Fritz, vor allem durch den Zuwachs qualifizierter Fach- und Lehrkräfte. Die Verantwortung für gute frühe Bildung liege allerdings nicht nur in den Einrichtungen selbst, sondern bei allen Beteiligten, meint Fritz: „Träger, Eltern und nicht zuletzt die Politik in Bund, Ländern und Kommunen sollten gemeinsam daran arbeiten, dass Kitas die ihnen gebührende Wertschätzung als Bildungsorte erfahren.”
Michael Fritz, Alles im Griff – Selbstregulation macht Kita-Kinder stark für die Zukunft. Analysen & Argumente Nr. 380/Januar 2020, Konrad Adenauer Stiftung (Hg.), 12 Seiten, Download
Weitere Informationen:
„Haus der kleinen Forscher“
Schriftenreihe Wissenschaftliche Untersuchungen zur Arbeit der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“
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