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Von der Digitalisierung im Gesundheitswesen wird viel erwartet: Neue Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten, bessere Kommunikation zwischen den einzelnen Gesundheitsakteuren – und dadurch mehr Effizienz in der Pflege. Ist Digitalisierung also auch eine Chance, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und damit den Fachkräftemangel in der Pflege in den Griff zu bekommen? Aktuelle Forschungsergebnisse des Instituts Arbeit und Qualität (IAQ) machen hier wenig Hoffnung.
Der aktuelle IAQ-Report kommen zu dem Schluss, dass Digitalisierung nicht zu einer Aufwertung der Arbeit von Krankenpflegefachkräften beiträgt. Wichtiger sei vielmehr die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit, eine Weiterqualifikation von Pflegehelfer*innen zu examinierten Krankenpflegekräften – und mehr Gehalt fürs Fachpersonal.
Die Studie stellt die Frage, wie sich die Arbeitsinhalte und -anforderungen von Krankenpflegefachkräften in Folge der Digitalisierung wandeln und welche Konsequenzen sich für die tarifliche Arbeitsbewertung ergeben. Mit neun befragten Expert*innen aus dem Krankenhaussektor ist das Panel sehr klein, gibt aber doch einen Einblick, welche Technologien in den jeweiligen Krankenhäusern bereits genutzt werden und welche Rolle die Digitalisierung im Arbeitsalltag der Pflegenden spielt.
Dabei stellte sich heraus, dass die elektronische Patientenakte (ePA) in allen untersuchten Krankenhäusern bereits klinikübergreifend oder zumindest in einzelnen Stationen zum Einsatz kommt. Auch Telemonitoring (z.B. automatisierte Überwachung von Vitalparametern) sowie unterschiedliche Endgeräte wie Laptoprechner, Smartphones, Tablets oder Wearables gibt es in jedem der Krankenhäuser. Wenig verbreitet sind dagegen Robotiktechnologien.
Wie wird die Arbeit der Pflegenden durch diese neuen Technologien beeinflusst? Fakt ist: Daten können durch digital vernetzte Technologien deutlich schneller und verlustfreier ausgetauscht werden, außerdem kann der Zugriff zeit- und ortsunabhängig erfolgen – das ist ein Vorteil. Zugleich weisen die Befragten aber auch auf gestiegene Dokumentationspflichten hin. So werden Zeitgewinne, die durch vernetzte Digitaltechnologien realisiert werden, zumindest teilweise durch den höheren Dokumentationsaufwand wieder aufgefressen. Hinzu kommen Belastungen durch gelegentlich auftretende Ausfälle der neuen Technologien.
Ähnliches hat auch die Studie „Digitalisierung im Krankenhaus. Mehr Technik – bessere Arbeit?“ der Hans-Böckler-Stiftung (2017) herausgefunden: Rund drei Viertel der dort Befragten gaben an, dass durch die Digitalisierung neue Aufgaben hinzugekommen seien. Digitale Technologien führen also tendenziell eher zu einer Arbeitsverdichtung; Entlastung wird kaum empfunden.
Ambivalent wird auch die verstärkte Überwachung von Arbeit und Leistung der Pflegekräfte durch digitale Anwendungen gesehen: So kann zum Beispiel bei der elektronischen Dokumentation festgestellt werden, wie viel Zeit die Pflegekräfte für bestimmte Tätigkeiten brauchen – was den Leistungsdruck bei den Beschäftigten steigern könnte. Andererseits, so die IAQ-Studie, werde das Berufsbild der Pflegefachkraft durch die zunehmende Technologisierung möglicherweise gesellschaftlich höher wertgeschätzt.
Wie schlägt sich die verstärkte Digitalisierung in der Bewertung der Arbeit von Pflegekräften nieder? Das zentrale Arbeitsbewertungsinstrument ist hier nach wie vor der Tarifvertrag. „Darin werden zwar zusätzliche berufsspezifische Fachkenntnisse und Kompetenzen der Fachkräfte zu einem gewissen Grad berücksichtigt – allerdings nur fachliche Qualifikationen, die im Kontext der Ausbildung oder einer Spezialisierung auf einen pflegerischen Funktionsbereich durch eine Weiterbildung erworben wurden“, so der IAQ-Report. Die Einarbeitung in neue digitale Technologien wird dagegen überwiegend als „Anwenderwissen“ und nur „kleines Mehr an Anforderungen“ charakterisiert und ist nicht vertragsrelevant. Hinzu kommt, dass der eigentliche Kern der Pflegearbeit – die Interaktionsarbeit mit den Patient*innen – bisher kaum durch die Digitalisierung berührt wird.
Fazit des IAQ-Reports: Die Digitalisierung im Berufsfeld führe weder dazu, dass sich eine nennenswerte Zahl neuer Beschäftigter für die Krankenpflege begeistert, noch berge sie das Potential zu Effizienzsteigerungen, durch die sich ein geringerer Personalbedarf und eine damit verbundene Abschwächung des Fachkräftemangels realisieren lasse. Zentral für die Aufwertung der Krankenpflege sei vielmehr die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit als eine hochprofessionelle Tätigkeit mit entsprechender Vergütung.
Tom Heilmann, Aufwertung der Krankenpflege – Welchen Beitrag kann die Digitalisierung leisten? IAQ-Report 2/2020, Institut Arbeit und Qualifikation (Hg.), 21 Seiten, Download
Christoph Bräutigam / Peter Enste / Michaela Evans u. a., Digitalisierung im Krankenhaus. Mehr Technik – bessere Arbeit? Study Nr. 364, 12/2017, Hans Böckler Stiftung (Hg.), 58 Seiten, Download
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