Suche
Schon wieder ploppt eine E-Mail auf, blinkt der Drucker, dann auch noch ein Programmabsturz: Digitaler Stress sabotiert den Büroalltag mit vielen kleinen Nadelstichen. Ohne die mächtigen elektronischen Helfer geht es nicht. Doch Chefs sollten genauer hinschauen, welche Nachteile für das Wohlbefinden der Mitarbeiter, den Erfolg der Arbeit und letztlich für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens damit einhergehen können. Eine Studie spürt die schlimmsten Stressfaktoren der digitalen Arbeitswelt auf und thematisiert Lösungsstrategien.
Die Expertise ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts PräDiTec (Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien). Dabei fließen Einschätzungen von Expert*innen moderner Wissensarbeit, Interviews mit Fokusgruppen und eine Onlinebefragung von gut 5.000 Teilnehmenden ein. Ziel ist, „die Potenziale moderner Technologien und Medien für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu nutzen und Fehlbelastungen zu vermeiden“. Immerhin nimmt die Hälfte der Beschäftigten die Digitalisierung der Berufswelt als Ursache zunehmender Arbeitsbelastung wahr und nur knapp ein Zehntel als Erleichterung.
Mehr als jeder achte Befragte gibt laut Studie an, von Belastungen der digitalen Arbeit stark oder sehr stark betroffen zu sein. Insgesamt zwölf unterschiedliche Stressfaktoren treten dabei immer wieder zutage. An der Spitze steht das Gefühl konstanter Leistungsüberwachung und -bewertung durch den Arbeitgeber, die Sorge, Nachteile aus dem Vergleich von Leistungsdaten der Beschäftigten zu erleiden. Damit geht oft das Gefühl einher, eine gläserne Person mit eingeschränkter Privatsphäre zu sein.
Weitere von den Beschäftigten genannte Belastungsfaktoren digitaler Arbeit sind das Gefühl permanenter Erreichbarkeit und Reizüberflutung. Daraus baut sich innerer Druck auf, mehr und schneller arbeiten zu müssen. Häufige Unterbrechung der Tätigkeit, Komplexität von Arbeitsabläufen und die Verunsicherung durch immer neue Tools und Updates drücken auf die Stimmung. Dazu tritt die Sorge vor der Digitalisierung als Jobkiller. Am höchsten ist die Belastung bei Technologien, die nur wenig genutzt werden und mangels Routine für Verunsicherung sorgen.
Stress rührt nicht allein aus neuen technischen Anforderungen her, sondern auch aus der sozialen und organisationalen Umgebung im Unternehmen. So sind soziale Konflikte, hohe emotionale Anforderungen und eine innovative Unternehmenskultur mit stärkerem digitalen Stress verbunden als gute innerbetriebliche Beziehungsqualität, Handlungsspielraum im Job und eine bürokratische Unternehmenskultur.
Erschöpfung, Gereiztheit, spezifische Gesundheitsbeschwerden und Erkrankungen korrelieren mit der digitalen Arbeitswelt. Am häufigsten sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Erkrankungen, psychische Beeinträchtigungen und Erkrankungen des Verdauungssystems.
Digitaler Stress hat ähnliche Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit wie herkömmlicher Stress, ergibt die Studie. Erwerbstätige berichten häufiger von der Schwierigkeit, von der Arbeit abzuschalten und zu regenerieren. Sie denken öfter daran, die Arbeitsstelle oder den Beruf zu wechseln, zeigen eine schlechtere Leistung und sind unzufriedener mit ihrem Arbeitgeber.
„Wie stark die negativen Auswirkungen von Stress sind, hängt im Allgemeinen von den individuell andauernden Strategien ab, die eine Person zur Bewältigung der belastenden Situation einsetzt“, sind die Autor*innen überzeugt. Die Befragung förderte 28 unterschiedliche Strategien zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz zutage, darunter die fünf häufigsten:
Von sämtlichen zur Verfügung stehenden Strategien nutzen die Studienteilnehmer*innen im Durchschnitt elf Strategien in wechselndem Mix. Bei Stresszunahme werden mehr unterschiedliche Bewältigungsstrategien angewendet. „Betroffene sind digitalem Stress folglich nicht hilflos ausgesetzt. Die persönliche Bewältigung spielt eine wichtige Rolle“, so das Fazit der Wissenschaftler.
Die Bewältigung von Stress ist offenbar eine sehr persönliche Frage, an den Unternehmen liegt es allerdings, vorbeugend tätig zu werden. Zu dem vielfältigen Maßnahmenbündel gehören die Gestaltung des Arbeitsplatzes mitsamt des Arbeitsprofils, der Umgebung, der Organisation sowie digitaler und anderer Arbeitsmittel.
In der betrieblichen Praxis haben sich gemeinsam mit den Mitarbeitenden aufgestellte Regeln der Erreichbarkeit bewährt. Hilfreich ist auch eine Vereinbarung der Frist zur Beantwortung einer Kundenmail. Stressmindernd sind auch Stillarbeitsplätze, wo Beschäftigte zurückgezogen und konzentriert arbeiten können sowie ein Help Desk oder fester Ansprechpartner für technische Probleme. Bei der Gestaltung von Arbeitssystemen sind neben individuellen vor allem technische und organisatorische Faktoren und die Folgen ihrer Wechselwirkungen zu berücksichtigen, raten die Autor*innen.
Henner Gimpel u. a., Gesund digital arbeiten?! Eine Studie zu digitalem Stress in Deutschland. Augsburg: Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 50 Seiten
Management
Digitale Innovationsbereitschaft: „Nicht voll motiviert“
Digitalisierung
Künstliche Intelligenz: Corona sorgt für Technologieschub
Arbeitswelt
Digitaler Stress: Wie er entsteht, wie er geht
Gesundheit
Gesundheitswandern: „Eine Antwort auf Covid-19“
Gesellschaft
Lokale Wurzeln stärken Demokratie und Ehrenamt
Soziales
Wie erging es Familien und Jugendlichen im Lockdown?
Buchempfehlung
Steven Taylor: Die Pandemie als psychologische Herausforderung
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail