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Eine bestechend gute Idee: Wer ehrenamtlich etwas für andere tut, lässt sich die geleisteten Stunden in einer Zeitbank gutschreiben und kann dafür später die Hilfe anderer in Anspruch nehmen: zum Beispiel in Haus und Garten, beim Einkaufen, Ämtergang oder Smartphone-Training. Die Idee wird aber auch im größeren Kontext der Gemeinwohlökonomie als vierte Säule der Altersvorsorge thematisiert, die ohne Geld auskommt.
Das Ganze ähnelt einer Tauschbörse, nur werden hier keine Kleider, Spielsachen oder Gartengeräte geteilt, sondern freiwillige Dienstleistungen mittels der Währung Zeit verrechnet. Die Zeitbanken, Zeitvorsorge-Initiativen oder Seniorengenossenschaften, wie sie heißen, arbeiten folglich mit Lebenszeit. Gewinn und Dispokredit gibt es nicht. Dafür stehen auf der Ertragsseite gegenseitige Hilfe, Sinnstiftung und soziale Kontakte. Häufiges Ziel ist die Unterstützung im Alter, damit die beteiligten Menschen möglichst lange unabhängig zuhause leben und an der Gemeinschaft teilhaben können.
Dabei spielen durchaus auch ökonomische Hintergedanken mit. Wer eine schmale Rente erwartet, kann über die Zeitbank zusätzliche Betreuungsleistungen erwirtschaften. Zeit ist Geld – an der Einsparung von Pflegekosten profitieren auch pflegende Angehörige und die Gesellschaft als Ganzes. Was auffällt: Es gibt viele Zeitbank-Initiativen hierzulande, eine Datenbank zählt deren mehr als 70. Die Idee überzeugt und bekommt viel Zuspruch. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch eine gemischte Bilanz. Einige Einrichtungen laufen gut, andere sind nur wenig aktiv, mehrere haben schon wieder dichtgemacht.
Zeitbankplus in Baden-Württemberg sieht sich auf der Erfolgsspur. „Die Zeit ist reif für die Zeitbank-Idee“, ist Geschäftsführerin Ingrid Engelhart vom gemeinnützigen Verein SPES (Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen) überzeugt, „wir hatten noch nie so viele Anfragen wie aktuell.“ Vor allem jüngeren Menschen sei die Tauschidee ohnehin vertraut. Die Initiative hat sich dem Konzept generationenübergreifender Nachbarschaftshilfe in einer sorgenden Gemeinschaft (Caring and Sharing Community) verschrieben. „Nachbarschaftshilfe ist nicht mehr überall selbstverständlich, Angehörige leben oft weit weg – da müssen wir etwas tun“, sagt Engelhart.
Das Projekt wird durch Förderprogramme des Landes und der EU gestärkt. Die Zusammenarbeit mit der österreichischen SPES-Zukunftsakademie sorgt für professionelle Expertise zur sozialräumlichen Entwicklung vor allem ländlicher Regionen. Derzeit werde das Modell gerade weiterentwickelt, berichtet Engelhart. „So können künftig auch örtliche Einrichtungen Mitglied in einer Zeitbankplus werden, zum Beispiel Pflegeheime, Freiwilligenzentren, Mehrgenerationenhäuser, Kindergärten, Schulen und Kirchengemeinden.“ Weitere Schritte zielen auf die Entwicklung einer Zeitbankplus-App und die Anerkennung als Sozialpraktikum für Jugendliche aller Schularten. Das Modell ist laut Engelhart skalierbar und kann überall in Deutschland angewendet werden. So arbeitet die Volkssolidarität Brandenburg derzeit am Aufbau einer Zeitbankplus nach Baden-Württemberger Vorbild.
Anders sieht es bei der Zeitvorsorge Köln e.V. aus. Der 2014 gegründete Verein steht mittlerweile vor der Auflösung. Sein Zweck war, dass er „ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe in einer innovativen Form mit Hilfe einer Zeitbank bereitstellt“, klärt die noch erreichbare Homepage auf. Zwar konnte der Verein unterschiedliche Angebote typischer Nachbarschaftshilfe vermitteln, doch die Verknüpfung mit dem Zeitbank-Konzept funktionierte nicht. „Das Stadtgebiet Kölns mit neun Stadtbezirken und 86 Stadteilen erwies sich als zu groß, so dass die teilnehmenden Mitglieder zu weit verstreut leben und sich nicht als soziale Gruppe wahrnehmen“, benennt Gründer Karl-Heinz Kock das Hauptproblem. Eine weitere Hürde, die auch aus anderen Vereinen gemeldet wird, besteht im Fehlen einer maßgeschneiderten Software, die möglichst niedrigschwellig alle erbrachten und abgerufenen Zeitguthaben verrechnet. Um einer herkömmlichen Bank zu gleichen, müssen die Guthaben jederzeit in einem räumlich großen Netzwerk für unterschiedliche Leistungen ein- und ausgezahlt werden können („Zeitgirokonto“). Darüber hinaus ist für Kock auch die Vereinsstruktur einer langfristigen Zeitkonten-Verwaltung nicht eben förderlich: Vorstände wechseln, Mitglieder kommen und gehen.
Kock berichtet freimütig vom Scheitern der Kölner Zeitbank. Weil es ihm ein Anliegen ist, dass andere davon lernen, genauer, die Hürden vor Ort präzise einschätzen. Er selbst stieß im Laufe seiner intensiven Bemühungen zur Verstetigung seines Projekts auf die „Zeitvorsorge St. Gallen e.V.“ und trat in den persönlichen Erfahrungsaustausch mit den Verantwortlichen ein. Vielen Zeitbänkern hierzulande gilt das 2011 aus der Taufe gehobene Projekt als Leuchtturm. „Heute tun. Morgen ruhn“, so das Motto der Schweizer, die es zur „vermutlich konsequentesten Umsetzung“ der Zeitbank-Idee gebracht haben, urteilt der SPIEGEL. 320 helfende Menschen sammeln in der 80.000-Einwohner-Stadt ihre Guthaben, die implantierte Software wurde ursprünglich in den Niederlanden für die Verwaltung von Mikrokrediten entwickelt. Träger der Zeitsparkasse ist eine von der Kommune gegründete Stiftung. Diese folgt einem handfesten Kalkül: Menschen, die infolge der Inanspruchnahme der Zeitvorsorge erst später oder gar nicht ins Heim müssen, sparen staatliche Unterbringungskosten.
Viele Zeitbanker wünschen sich das Zeittauschsystem als Ergänzung zu den klassischen Formen der Altersabsicherung durch staatliche Rente, betriebliche Rente und private Vorsorge. Angesichts der demografischen Entwicklung wäre das durchaus wünschenswert: Da Geld keine Rolle spielt, böte die Zeitsparrente auch einkommensschwachen Menschen Vorteile und wäre zugleich ein nützlicher Beitrag gegen Altersarmut. Überdies ist für alle, die sich an die Finanzkrise 2008 erinnern, das krisenfeste Zeitkonto ein echter Anreiz. Das Guthaben ist garantiert inflationssicher und kann nicht zum Objekt gieriger Spekulation werden. Nicht eingelöste Stunden gehen an die Erben.
In einigen Ländern wie in Japan, Österreich und der Schweiz gibt es seit vielen Jahren erfolgreiche Zeitbank-Modelle. In Deutschland tun sie sich schwer, ebenso wie Tauschringe für Produkte und Dienstleistungen. Im internationalen Vergleich lassen sich einige spezifisch deutsche Hindernisse herausarbeiten. So liegt die zentrale Besonderheit der Zeitvorsorge St. Gallen in deren Stiftungsstruktur: Damit bürgt die Stadt für die künftige Einlösung der Zeitgutschriften – eine zentrale Garantie, die Vereine nicht geben können. Kocks Ansinnen, mit der Stadt Köln ein ähnliches Abkommen zu schließen, verhallte ergebnislos.
Die entscheidende Ursache für die geringe Verbreitung von Zeitbanken hierzulande liegt in den rechtlichen Rahmenbedingungen. Obwohl diese Initiativen nur auf der Basis von Zeitverrechnung arbeiten, wird ihnen von den Finanzbehörden, ebenso wie auch Tauschringen, eine Gewinnerzielungsabsicht zugeschrieben. „An diesem zentralen Punkt der Behandlung durch die Finanzämter müssen Änderungen seitens der Politik erfolgen. Dann würde die Akzeptanz und Nutzung erheblich ansteigen. Dazu sind die gesetzlichen Grundlagen im Bereich des Steuer- und Sozialversicherungsrechts anzupassen”, empfiehlt Zeitbank-Experte Klaus Reichenbach. Auf dieser Basis solle von staatlicher Seite das Ansparen von bis zu 400 Zeitbank-Stunden pro Jahr unterstützt werden. Ob das schon zur Altersvorsorge reicht, muss sich zeigen. Auf dem Weg dorthin wären einige Steine weggeräumt.
Viel Wissenswertes zu Tauschringen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zur Gründung und Geschichte, mit Adressen:
https://tauschwiki.de
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
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