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Piper Verlag, 22,00 Euro, 384 Seiten
Das heißeste Jahrzehnt, viel zu warme Weltmeere, die nächste Hitzewelle kommt bestimmt: Die schottische Umweltforscherin Hannah Ritchie glaubt schon länger nicht mehr an ein Weltuntergangsszenario durch den Klimawandel. Je intensiver sich die promovierte Geowissenschaftlerin mit harten Zahlen beschäftigt hat, desto mehr ging ihr einstiger Pessimismus zurück. Als leitende Forscherin bei der einflussreichen Plattform "Our World in Data" sammelt sie seit über zehn Jahren Daten und Grafiken zu globalen Problemen. Allen katastrophalen Klimanews zum Trotz versucht Hannah Richie nun in ihrem Klimabuch „Hoffnung für Verzweifelte“ (Original: „Not the End of the World“) Mut zu machen. Auch mit umstrittenen Forderungen.
Die Abstände, in denen Temperaturrekorde geknackt werden, werden immer kürzer. Teile der Erde sind von Dürre geplagt, anderswo sorgen Überschwemmungen für Katastrophen. Rekordtemperaturen, schmelzendes Gletschereis, steigende Meeresspiegel: Viele Klimadaten zeigen besorgniserregende Trends auf. Der Ausblick erscheint mehr als düster, wenn es um das Klima, dessen Wandel und um die Fortschritte bei der Emissionsreduzierung geht. Erstaunlicherweise blickt ausgerechnet die britische Datenexpertin Hannah Ritchie zuversichtlich, ja teilweise sogar zunehmend optimistisch, auf die Klimakrise und wie sie bewältigt werden könnte.
Die Klima-Statistikerin Hannah Richie ist seit 2023 stellvertretende Herausgeberin und leitende Forscherin von der einflussreichen Online-Publikation „Our World in Data“ (OWID), ein Projekt, das globale Fragestellung wie Armut, Ernährung, Gesundheit und Klimawandel analysiert und dazu Daten und Grafiken veröffentlicht. Hannah Richie sucht als sogenannte Außen-Wissenschaftlerin an der Oxford Martin School mit "Globale Entwicklung", einem Programm der Universität Oxford, Lösungen für die globalen Probleme der Welt. Dort liest man etwa, dass die „Auslagerung“ westlicher Emissionen nach China nicht die ganze Wahrheit sei, dass Kohlestrom rund 800-mal tödlicher sei als Atomenergie. Oder dass es für den Fußabdruck der eigenen Ernährungsweise fast egal sei, woher das Essen kommt.
Hannah Ritchie, Jahrgang 1993, ist beileibe keine Klimaleugnerin. Die Umweltwissenschaftlerin plädiert auch nicht für blinden Optimismus. Sie hält es lediglich für zielführender, die bereits erreichten Erfolge der Transformation zu betonen und kämpft faktenorientiert gegen die um sich greifende Untergangsstimmung, die oft aus Halbwissen und falschen Annahmen entstehe. Hannah Ritchie gehört für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) zum „Team Fortschrittsoptimismus“. Sogar der Blick in die Vergangenheit sei zum Beispiel bei dem Thema Luftverschmutzung hilfreich. Schon in den Lungen ägyptischer Mumien wurden Schadstoffe gefunden. Wer der Meinung sei, „früher war alles besser“, den belehrt die Autorin eines Besseren.
Ritchie ist davon überzeugt, dass die Probleme erheblich sind. Trotzdem stellt sie in „Hoffnung für Verzweifelte“ einen Gegenentwurf dar, der wirklich Hoffnung macht. Optimismus könne ihrer Meinung nach dabei helfen, die dringend notwendigen Entwicklungen zu beschleunigen. Klimafreundliche Technologien seien auf dem Vormarsch, in den Industrieländern gingen die CO2-Emissionen zurück, und die Temperaturprognosen seien nicht mehr so düster wie noch vor wenigen Jahren.
„Es ist ein schmaler Grat, den Menschen zu sagen, dass wir dieses Problem in den Griff bekommen können, ohne dass sie gleich in Bequemlichkeit verfallen“, sagt Hannah Richie im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ): „Vielleicht würden manche sagen, dass ich dieses Gleichgewicht nicht ganz hinbekommen habe. Aber wenn Leute mit der Botschaft rausgehen, dass wir uns keine Sorgen machen sollten, dann weiß ich nicht, welches Buch sie gelesen haben.“
Dass die Autorin so zuversichtlich ist, war vor zehn, 15 Jahren noch anders: „Ich sah während des Studiums überall Bilder von Naturkatastrophen, Dürren und Hungernden“, schreibt Hannah Richie. „Ich glaubte, in der schlimmsten Zeit der Menschheitsgeschichte zu leben, die Scham unserer Umweltsünden wog mit jeder Vorlesung schwerer, ich fühlte mich gelähmt und hilflos.“ Ihr Umdenken geht zum einen auf einen Fernsehauftritt des schwedischen Statistikers Hans Rosling zurück.
„Er zeigte mir, dass ich überall falsch lag, aber so, dass ich mich nicht wie eine komplette Idiotin fühle.“ Der inzwischen verstorbene Gesundheitsforscher plädierte dafür, einen Schritt zurückzutreten und sich die langfristigen Datenentwicklungen anzuschauen. Zum Beispiel, dass die Kindersterblichkeit in den vergangenen 200 Jahren gesunken und die Lebenserwartung weltweit gestiegen ist. So überzeugte er die Klimawissenschaftlerin mit der heilenden Wirkung fundierter Fakten davon, dass vieles auf der Welt nicht schlechter, sondern besser geworden ist. Roslings Longseller "Factfulness" (Ullstein Verlag) erschien 2023 auch auf Deutsch.
Zum anderen war es Max Roser, der in Oxford die spendenfinanzierte Plattform "Our World in Data" (OWID) gegründet hat. Mit vielen Kurven überzeugte er die Autorin davon, wie sehr sich die Welt seit dem frühen 19. Jahrhundert durch technischen Fortschritt und durch Kapitalismus verbessert hat. Heute arbeitet Ritchie als "Head of Research" in Rosers Faktenfabrik.
Hannah Ritchie appelliert schon zu Beginn ihres Buches: „Wir haben die Chance, als erste Generation Nachhaltigkeit zu erreichen. Nutzen wir sie.“ Mit nüchternem Blick auf die Klimaproblematik behandelt sie die sieben Umweltprobleme: Luftverschmutzung, Klimawandel, Entwaldung, Ernährung, Biodiversität, Plastik im Meer und Überfischung.
Die weltweiten Pro-Kopf-Emissionen an Kohlendioxid sinken seit 2012, schreibt die Datenwissenschaftlerin. In westlichen Ländern sei der Ausstoß seit den 1970er Jahren um die Hälfte zurückgegangen, vor allem dank dem Verzicht auf Kohle. Die Autorin wertet das als Anzeichen dafür, dass die Gesamtemissionen auch bald anfangen werden zu sinken. Auch der Siegeszug der Erneuerbaren mache ihr Mut. Kohlenstoffarme Technologien wie Photovoltaik oder Windenergie sind schneller als gedacht zu den billigsten Energiequellen geworden. „China hat 2023 so viele Windkraft- und Solaranlagen gebaut, dass sie den Strombedarf von Großbritannien und Frankreich decken könnten – in einem einzigen Jahr“, sagt Hannah Richie dem Standard.
Und damit nicht genug: Auch die Entwaldung, die den Biodiversitätsverlust antreibt, sei global gesehen rückläufig seit den 1980er Jahren; die Landnutzung für den Lebensmittelanbau nehme nicht mehr zu, und der Gebrauch von schädlichen Düngemitteln sei geradezu eingebrochen in den letzten vier Jahrzehnten.
Das Hauptproblem sei für sie, dass die ökologischen und sozialen Kosten in Produkten, die wir konsumieren, nicht eingepreist sind. „Unsere Herausforderungen beim Thema Umwelt sind riesig. Wenn wir sie nicht angehen, wird das furchtbare Konsequenzen haben und zu grausamer Ungleichheit führen. Wir müssen handeln, und zwar umfassend und sehr viel schneller als bisher.“ Der Schlüssel sei der wirtschaftliche und technologische Fortschritt: „Wir können viel mehr erreichen, wenn wir die vorhandenen Lösungen innerhalb unseres kapitalistischen Systems auf verantwortungsvolle Weise einsetzen.“
„Wir stehen zweifellos vor großen Herausforderungen“, sagt die Autorin dem Spiegel. „Etwa jeder zehnte Mensch auf der Welt hat zu wenig zu essen. Aber vor 50 Jahren waren es weitaus mehr. Und, ja, noch immer leben viele Menschen von weniger als 2,15 Dollar pro Tag. Gleichzeitig ist solch extreme Armut erheblich seltener als vor 20 Jahren.“ Mit zahlreichen Grafiken gibt Hannah Richie teils überraschende Antworten auf die vielfach aufgeworfene Frage: Was kann jeder Einzelne tun? Sie plädiert für rasche Abkehr von fossilen Brennstoffen, CO2-Steuer, Elektroautos. „Das Auto stehen lassen, zwei Tage pro Woche auf Fleisch verzichten und weniger Dinge kaufen“, so die Autorin.
Hannah Richie räumt aber auch ein, dass es bislang eher an der Umsetzung hapert als an fehlendem Wissen. Die Idee des CO2-Preises oder der soziale Ausgleichsmechanismus zum CO2-Preis – Stichwort Klimageld – werden zwar teilweise umgesetzt, mehr aber auch nicht. Für die Datenwissenschaftlerin kann vorbildliches Verhalten und über positive Veränderungen sprechen aber ziemlich ansteckend sein. „Ich habe eine gewisse Zuversicht, dass wir auch bei zwei Grad Erwärmung noch einen lebenswerten Planeten haben können, auf dem viele Menschen ein wirklich gutes Leben führen“, sagt Hannah Richie der SZ. „Das Wichtigste ist, dass wir niemanden zurücklassen.“
Die Autorin färbt in „Hoffnung für Verzweifelte“ nichts schön. „Wir stehen vor enormen Problemen und müssen schneller als bisher handeln“, schreibt Hannah Ritchie offen. Sie beschreibt weitverbreitete Irrtümer beim Umweltschutz und verdeutlicht lesenswert, mit vielen Grafiken und Statistiken: Wir steuern keineswegs hilflos aufs Ende zu, sondern befinden uns im Vorwärtsgang. Der Klimawandel ist „nicht das Ende der Welt“, wie ihr Buch im Original heiß. „Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen“, heißt es im Untertitel, was so viel bedeutet wie: Es lohnt sich, auch weiter für die Natur zu kämpfen.
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