Suche
Newsletter für das Sozialmanagement
Seit 2018 sorgt in Großbritannien das weltweit erste „Ministry for Lonelyness“ für Regierungsinitiativen gegen Einsamkeit. In den Niederlanden umwerben Supermärkte ihre Kundschaft mit sogenannten Plauderkassen für den freundlichen Schwatz mit Kassierern, in der spanischen Provinz Galicien lädt das Projekt „Familia Alberta“ einsame Menschen zum Treff mit Speis, Trank und Gespräch. Auch hierzulande gilt Einsamkeit nicht länger nur als privates Einzelschicksal. So beschloss die Bundesregierung im vergangenen Jahr ihre „Strategie gegen Einsamkeit“. Und wie sieht es speziell in der Arbeitswelt aus? Eine neue Studie des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung geht der Frage nach, wie Einsamkeit den Betriebsalltag beeinträchtigt und was dagegen präventiv zu tun ist.
Seit der Covid-Pandemie ist Einsamkeit als massives gesellschaftliches Problem ins öffentliche Bewusstsein gerückt und wird mitunter sogar als „Geißel der Menschheit“ oder „neue Pandemie“ beschworen. Laut Erhebungen des vom Bundesfamilienministerium geförderten Kompetenznetzwerks Einsamkeit (KNE) sind 14 Prozent der Bevölkerung wiederholt einsam. Vor allem für Kinder sowie junge und alte Menschen sind tiefgreifende psychosoziale Schäden infolge der coronabedingten Isolationsmaßnahmen bekannt. Für die Arbeitswelt ist das Thema Einsamkeit hingegen erst wenig erforscht. Die vorliegende Studie des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) will hier mittels einer umfassenden Literaturrecherche Licht ins Dunkel bringen.
Wer sich einsam fühlt, ist nicht einfach nur allein – auch unter Menschen, etwa in der Partnerschaft, auf einer Party, im Kollegium oder Verein kann man sich einsam fühlen. Einsamkeit, so beschreiben es die beiden DGUV-Wissenschaftlerinnen Marlen Rahnfeld und Lisa Stieler, ist das schmerzhafte Gefühl sozial isoliert und „außen vor“ zu sein. Das Problem für hilfsbereite Mitmenschen: Den Betroffenen ist die Einsamkeit oft nicht anzumerken und wird als Tabu meist verschwiegen.
Warum sollten sich auch Betriebe mit dem Phänomen beschäftigen, es sogar zum Thema des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) machen? Die Antwort der Autorinnen ist eindeutig: „Selbst wenn die Ursachen für Einsamkeit nicht nur im Kontext der Arbeit zu finden sind, wirken sich die Folgen auf das berufliche Umfeld aus, unter anderem durch verringerte Leistung oder Fehlzeiten.“ Einsamkeit selbst macht zwar nicht krank, kann sich aber auf die Gesundheit auswirken. So nimmt laut DGUV-Studie das Risiko von Depression und Angststörungen über Herz-Kreislauferkrankungen bis zum Schlaganfall zu. Manche Forscher vergleichen die Auswirkungen anhaltender Einsamkeit sogar mit dem Rauchen von täglich 15 Zigaretten oder starkem Übergewicht – mit erheblichen Folgen für die Arbeitsleistung: Leistungsschwankungen, innerer Rückzug, längere Abwesenheit und Distanz beschreiben einen „ansteckenden Effekt der Einsamkeit“.
Auch Gegebenheiten in der Arbeitswelt selbst können Einsamkeit und Alleinsein verstärken, besagt die Studie: zum Beispiel der Rückgang direkter kollegialer Kontakte durch elektronische Kommunikation, die Verlagerung und Fusion von Abteilungen und die Arbeit im Homeoffice. In einer Befragung von Beschäftigten, die mindestens 40 Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, beklagte die Hälfte den Mangel an sozialem Kontakt. Integrative Faktoren wie Teamgeist und Flurfunk haben es da schwer. „Hier können Unternehmen ansetzen, Beschäftigte unterstützen und verschiedene Möglichkeiten anbieten, um einer Vereinsamung entgegenzuwirken“, empfiehlt die Untersuchung.
Zu diesen Möglichkeiten gehört erstmal, „jeden Einzelnen im Blick zu behalten und die sozialen Beziehungen im Team zu stärken“, raten die Autorinnen. A und O ist ein gutes Betriebsklima mit transparenter, wertschätzender Kommunikation. Besonderes Augenmerk verdienen Beschäftigte, die von Schicksalsschlägen wie Scheidung, Krankheit oder Tod einer nahestehenden Person betroffen sind. Aufgrund der häufigen Komorbidität mit psychischen und körperlichen Erkrankungen können typische Anzeichen wie Überforderung, Desinteresse, Alkoholismus, Leistungsabfall und gehäufte Krankentage auf Einsamkeit hinweisen. Gefährdet sind auch neue Mitarbeitende, die sich noch fremd und ausgeschlossen fühlen könnten. Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte dürfen in allen diesen Fällen ruhig näher hinschauen – nicht kontrollierend, sondern anteilnehmend.
Anzeichen möglicher Einsamkeit sind schwer zu identifizieren, konstatiert die Studie. Führungskräfte und Mitarbeitende können sich jedoch mit folgenden Fragen eine erste Orientierung verschaffen:
Im Umgang mit Gefährdeten und Betroffenen sind Vertraulichkeit und Sensibilität oberstes Gebot. Einsamkeit sollte idealerweise im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen angegangen werden. So lassen sich Präventionsangebote gegen Einsamkeit gut an bestehende Angebote des BGM andocken, empfiehlt die Untersuchung: „Viele bereits dort bestehende Themen greifen auch einzelne Aspekte der Einsamkeitsproblematik auf. Dazu zählen neben den Themen psychische und körperliche Gesundheit auch Mobbing, Ausgrenzung und Boundary Management.“
Für bereits Betroffene führt die Studie niedrigschwellige Hilfen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens auf, zum Beispiel Gesprächs- und Coachingangebote. Hierzu zählen Programme zu Stress- und Krisenbewältigung, zur Konfliktlösung im Team, in der Partnerschaft oder Familie, zu persönlichen Krisen und Herausforderungen sowie zur Pflege von Angehörigen. Schwieriger wird es bei Fällen chronischer Einsamkeit. Der gutgemeinte Rat, doch einfach mal unter Menschen zu gehen, hilft nicht und kann sogar kontraproduktiv sein. Untersuchungen fanden heraus, dass es Menschen, die unter starker Einsamkeit leiden, nach sozialen Kontakten noch schlechter geht als zuvor. „In der Regel werden Unternehmen und Einrichtungen hier an ihre Grenzen stoßen, um selbst therapeutische Angebote bereitstellen zu können“, konstatiert die Studie. Wichtig sei zu erkennen, wann professionelle Hilfe erforderlich ist, und an entsprechende Fachstellen weiterzuvermitteln.
Unternehmen, Führungskräfte und Teams können einiges tun, um Beschäftigte vor Einsamkeit zu schützen und bereits Betroffene mit Hilfsangeboten zu unterstützen. Allerdings ist das Problem in seiner unterschiedlichen, bisweilen diffusen Ausprägung im Betriebsalltag nicht immer einfach zu adressieren. Dennoch gilt: „Man braucht bei dem Thema gar nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern ein guter Anfang ist zu zeigen, dass man sich kümmert. Führungskräfte und Beschäftigte für das Thema zu sensibilisieren, ist dabei genauso wichtig, wie Anlaufstellen und qualifizierte Ansprechpersonen zur Verfügung zu stellen.“
Die eine Strategie gegen Einsamkeit in der Arbeitswelt gibt es noch nicht, das Thema wird gerade erst entdeckt: „Momentan gibt es noch keine speziellen Tools für Betriebe, so dass zum aktuellen Zeitpunkt jeder Betrieb selbst entscheiden und erproben muss, welche Maßnahmen passen könnten.“
Weitere Info:
Rahnfeld, Marlen / Stieler, Lisa, Erkennen, Bewältigen und Bekämpfen von Einsamkeit im betrieblichen Kontext. In: ASU - Zeitschrift für medizinische Prävention, 4/2024, Seiten 250-257
Download:
Erkennen und Bewältigen von Einsamkeit im betrieblichen Kontext
Gesellschaft
Neue Ansätze zur Integration
Demografie
Erwerbsorientierung der Generation Z
Arbeitswelt
Einsamkeit in der Arbeitswelt: Beschäftigten helfen, dem Betrieb nützen
Buchempfehlung
Der Geist aus der Maschine: Eine superschnelle Menschheitsgeschichte des digitalen Universums
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail