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Bei der Gesundheits- und Sozialwirtschaft dreht sich alles um soziale, medizinische und pflegerische Dienstleistungen. Was meist übersehen wird: Die Branche könnte auch erheblich zum Klimaschutz beitragen – ist in diesem Punkt aber ein schlafender Riese. Um ihn aufzuwecken, bedarf es sozialrechtlicher Reformen und zukunftstauglicher Finanzierungskonzepte, mahnt eine Expertise von Diakonie, Fachleuten der Sozialwirtschaft und Wissenschaftlern der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt an.
Die Branche steht mit 185 Milliarden Euro Jahresumsatz und 2,5 Mio. Beschäftigten für gut fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2021). Genauso groß ist ihr Anteil an den gesamten CO2-Emissionen hierzulande. Angesichts dieser Dimensionen kann forcierter Klimaschutz im Sozialsektor gesamtwirtschaftlich nur sinnvoll sein. Als zentralen Ansatzpunkt nimmt die vorliegende Studie die häufig veralteten und energetisch ineffizienten Sozialimmobilien unter die Lupe. Sie rechnet vor, dass durch energetisches Sanieren und klimafreundlichen Neubau der bundesweit rund 100.000 Pflegeheime, Krankenhäuser, Kindergärten und Wohneinrichtungen Klimaschadenskosten von bis zu 9,8 Milliarden Euro vermieden werden könnten. Zugleich könnte die Branche mittels PV-Anlagen, Wärmedämmung und Wärmepumpen mindestens 70 Prozent der benötigten Energie selbst produzieren. Was aber noch nicht alles ist: Eine Umstellung der benzingetriebenen Fahrzeugflotte auf Elektromobilität, die Vermeidung bzw. das Recycling von klimaschädlichen Narkosegasen, der Einsatz von Öko-Textilien und ein Ende der Lebensmittelverschwendung könnten zusätzlich zum Klimaschutz beitragen.
Die Studie beschreibt vier Maßnahmen hin zur klimaschonenden Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Die erste Maßnahme betrifft eine Reform des Sozialrechts. Soziale Arbeit soll „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein, so will es das Sozialgesetzbuch. Für den Klimaschutz hat das bedenkliche Folgen: „So führen die eingeübten Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eher dazu, einem Preiswettbewerb zu folgen und weniger dem Anreiz zu nachhaltigen Investitionen Raum zu geben.“ Die Expertise empfiehlt daher, auch die umweltbezogene Nachhaltigkeit als Prüfstein aller Pflege-, Beratungs- und Betreuungsleistungen von Sozialunternehmen zu verankern. Damit wäre eine Anpassung des Leistungs- und Vergütungssystems möglich, Unternehmen erhielten die Mittel für klimafreundliche Investitionen durch die Leistungsträger.
Der zweite Aspekt betrifft das geltende Leistungs- und Vergütungssystem. Bislang bleiben Unternehmen, die energetische Modernisierungen vornehmen, auf den Kosten sitzen, merken die Studienautor*innen kritisch an. Einsparungen bei der Strom- und Heizungsrechnung lohnen sich paradoxerweise nicht, da sie im gegenwärtigen selbstkostenbezogenen Refinanzierungssystem nicht erstattet werden. Die Autorinnen und Autoren sprechen von einem „kontraproduktiven Anreizkorsett“. Ihr Vorschlag: Betrieben mit niedrigerem Energieverbrauch sollten die Einsparungen zur Amortisation ihres Kapitaleinsatzes fünf bis zehn Jahre lang überlassen werden. Danach könnten die Vergütungssätze an die aktuellen Energiekosten angepasst werden.
Beim dritten Vorschlag erhalten Unternehmen staatliche Zertifikate auf Basis der aktuell durchschnittlichen Emissionskosten. Sie sind bis 2035 gültig, dem Jahr der von der Diakonie für ihre Sozialimmobilien anvisierten Klimaneutralität. Emissionsmindernde Investitionen werden durch den staatlichen Rückkauf der Zertifikate zu einem festgelegten Preis finanziert, überzählige Zertifikate an andere Unternehmen veräußert. Eine zusätzliche Anreizsteuerung kann durch einen zeitlich gestaffelten Garantiepreis implantiert werden, je nachdem, wie schnell die Unternehmen zur Sanierung motiviert werden sollen.
Das Bild vom schlafenden Riesen wird schon durch eine Zahl deutlich: Allein in ihren großen Dienstleistungsbereichen verfügt die Sozialwirtschaft über rund 48 Millionen Quadratmeter nutzbare Dachflächen. Durch die Installation von PV-Anlagen, Wärmedämmung und Wärmepumpen könnte die Branche mindestens 70 Prozent der benötigten Energie selbst produzieren bzw. einsparen, besagt die Studie. Davor stehen allerdings hohe steuerrechtliche Hürden: Der Gesetzgeber muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Sozialunternehmen, die ihren Strom selbst erzeugen und Überschüsse ins öffentliche Netz einspeisen, nicht ihren Gemeinnützigkeitsstatus verlieren, lautet die vierte Empfehlung.
„Energetische Investitionen sind als eigenständiger strategischer Entwicklungspfad für Sozialunternehmen zu entwickeln“, fordert die Studie. Wenn die Politik die selbstgesetzten Ziele einer konsequenten Klimapolitik ernst nehme, müsse sie die Sozialunternehmen in die Lage versetzen, entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Bei der öffentlichen Vorstellung der Studie betonte denn auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie stellvertretend für die Sozialwirtschaft: „Der Wille, schnellstmöglich klimaneutral zu arbeiten ist in der Branche längst da. Dafür muss der Gesetzgeber jetzt die richtigen Weichen stellen."
Vier Schritte zur emissionsfreien Gesundheits- und Sozialwirtschaft im Bereich der Sozialimmobilien. Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, November 2022
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