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Was sichert Geflüchteten den Bildungserfolg im deutschen Schulsystem? Was muss besser werden? Fragen, die seit 2015 teils sehr kontrovers diskutiert werden. Eindeutig ist jedoch, dass der Besuch von Kita und Schule die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher in die Gesellschaft fördert. Das bestätigt eine kürzlich vorgestellte Langzeitstudie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe. Eine Kernaussage: Gute Deutschkenntnisse erweisen sich als Schlüsselkompetenz, sind allerdings kein Selbstläufer.
Für die Untersuchung im Auftrag des Bundesforschungsministeriums führte das Leibniz-Institut zwischen 2018 bis 2020 fast 3.600 Interviews mit Eltern migrantischer Herkunft, die zum Teil mehrere Kinder haben, durch. Die Befragung umfasst 2.400 Vorschulkinder ab vier Jahren und 2.400 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren der Sekundarstufe I (ohne Förderschulen). Sie erstreckt sich auf Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Drei Viertel der Studienteilnehmenden stammen aus Syrien, viele andere aus Afghanistan und Irak. Nicht erfasst wurde der Bildungswerdegang unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.
Knapp 80 Prozent der in die Befragung einbezogenen Kinder besuchten eine Kindertagesstätte. Allerdings ist diese Quote deutlich geringer als die entsprechende Quote von gleichaltrigen Kindern ohne Migrationshintergrund, führt die Untersuchung aus. Von dieser Personengruppe besuchen 98 Prozent eine Kita, bei Kindern mit Migrations-, aber ohne Fluchthintergrund 94 Prozent.
Kontakt zur deutschen Familien, schnelleres Erlernen der deutschen Alltagskultur und Sprache, dieser Motivation zum Kita-Besuch stimmen die meisten Eltern uneingeschränkt zu. Familien mit Kindern ohne Kita-Besuch hatten oft keinen Betreuungsplatz bekommen (63 %). Ein „nicht zu vernachlässigender Teil“ der Eltern gab aber auch andere Gründe an, besagt die Studie, zum Beispiel: religiöse oder kulturelle Überzeugungen. (8 %), Angst vor Ausgrenzung (6 %), die Ansicht, das Kind sei in der Familie am besten aufgehoben (7 %) und fehlende Informationen (13 %).
Fast 94 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren gab an, in ihrem Herkunftsland eine Schule besucht zu haben. Für sechs Prozent lag also kein Schulbesuch vor. Rechnet man die Dauer der Flucht und die Monate zum ersten Schultag nach Ankunft in Deutschland zusammen, hatten die jungen Zuwanderer durchschnittlich mehr als ein Jahr lang keine Schule besucht. Mit unguten Folgen, führen die Forschenden aus: „Es zeigt sich, dass die geflüchteten Jugendlichen in den niedrigeren Klassenstufen über- und in der Klassenstufe 10 unterrepräsentiert sind.“ Ein Vergleich der Quote 15-Jähriger in den Klassenstufen 6-8 macht den Bildungsrückstand deutlich. Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund beträgt sie 6,5 Prozent, mit Migrationshintergrund 14 Prozent, mit Fluchterfahrung 40 Prozent.
Entscheidend für den Bildungserfolg sind die Deutschkenntnisse. Wie steht es darum bei den jungen Menschen? Für die Vorschulkinder bewerteten 70 Prozent der Eltern deren Fähigkeit, Deutsch zu verstehen und zu sprechen, mit gut und sehr gut. Abgesehen davon, dass es sich um eine subjektive Beurteilung handelt: Ein Drittel der Kinder im Vorschulalter hat demnach deutliche sprachliche Defizite.
Die Jugendlichen werteten ihre Sprachkenntnisse (Verstehen, Sprechen, Lesen, Schreiben) überwiegend (85 bis 92 Prozent) als eher gut bis sehr gut ein. Letztlich entscheidet das Niveau. Die Selbsteinschätzung bezieht sich auf die Fähigkeit, nach dem Weg zu fragen und einfache Gespräche über vertraute Themen zu führen. Einen einfachen Zeitungsartikel verstehen (45 %) ist schon schwieriger, Literatur- und Sachbücher zu lesen gelingt nur einer Minderheit (19 %).
„Die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in unser Bildungssystem gelingt zwar zu großen Teilen, dennoch lassen sich verschiedene Problemfelder identifizieren“, fasst Bildungsforscher Hans-Günther Rossbach die Studienergebnisse zusammen. Als problematisch für den Bildungserfolg wertet er die lange (schulfreie) Dauer der Flucht und damit möglicherweise verbundene traumatisierende Erlebnisse. Zudem lasse die Quote der Kita-Besucher unter den Geflüchteten zu wünschen übrig. Bewährte politische Maßnahmen wie das Bundesprogramm „Kita-Einstieg. Brücken bauen in frühe Bildung“ sollten weiterverfolgt werden. Ausbaufähig sei auch die Fortbildung für Erzieher*innen in der Betreuung von geflüchteten Kindern.
Einen weiteren Problempunkt sieht Rossbach darin, dass sich die Jugendlichen vergleichsweise häufiger auf Hauptschulen und seltener auf Realschulen und Gymnasien wiederfinden. Ihr Schulleistungen sind schlechter, ihre Statusunsicherheit höher. Auch bei der Sprachförderung ist noch viel Luft nach oben. Die niedrige Kompetenz beim akademischen Sprachniveau (Literatur- und Sachbücher lesen, anspruchsvolle Texte schreiben) sei ein ernstes Hindernis auf dem Weg für höherwertige Schulabschlüsse. Alarmierend sei, dass 65 Prozent der Jugendlichen zum Erhebungszeitpunkt an keiner Fördermaßnahme zugunsten ihrer Deutschkompetenzen teilgenommen habe.
Hieraus seien zwei Folgerungen abzuleiten: Zum einen sei die schulische Sprachförderung auszubauen, zum anderen gelte es, den außerschulischen Spracherwerb zu ermutigen, etwa durch die gezielte Nutzung deutschsprachiger Fernsehprogramme, durch Sprach-Apps, sprachgemischte Jugendgruppen und die Mitwirkung in Sportvereinen.
Jutta von Maurice / Gisela Will, Geflüchtete Kinder und Jugendliche im deutschen Bildungssystem. Zentrale Befunde der Studie ReGES, Aktuelle Analysen aus dem Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LifBi), Bericht Nr. 2/Mai 2021, 20 Seiten
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