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Corona hat den Alltag von Familien kräftig durchgeschüttelt. Homeschooling, Kontaktbeschränkungen, Kurzarbeit und Homeoffice haben Gewohnheiten und Gewissheiten in Frage gestellt – das Improvisieren wurde zur neuen Normalität. Ein heißes Eisen ist die Frage nach den Auswirkungen der Krise auf die Gleichstellung der Geschlechter. Häufiger Tenor: Überholt geglaubte Rollenklischees erfuhren eine ungeahnte Wiederkehr – Frauen sind die Verliererinnen der Pandemie. Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Sabine Pokorny untersucht in einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung die Auswirkungen der Pandemie auf Familienalltag und Geschlechterrollen. Und kommt zu differenzierten Erkenntnissen.
Eine mehrstufige Erhebung liefert die empirische Basis der Untersuchung. Bereits aus vorpandemischer Zeit (Ende 2019) lagen Erkenntnisse über Rollenbilder in der Familie vor, zwei weitere Befragungen (Herbst 2020 und Frühjahr 2021) ermöglichen einen langfristigen Vergleich. „Eine eigene Familie und Kinder sind mit Abstand der wichtigste Lebensbereich“, fand die Untersuchung für zwei Drittel der Befragten heraus. Mit einer geschlechtsspezifischen Besonderheit: Für Frauen gilt das mehr als für Männer, bei denen Beruf und Arbeit höher rangieren.
Schon im Sommer 2020 sprachen Wissenschaft und Medien von der „Retraditionalisierung der Rollenverteilung“, befanden, dass die Gleichberechtigung der Frauen um Jahre oder sogar Jahrzehnte zurückgeworfen werde. Demnach waren Frauen durch die Schließung von Kitas und Schulen gedrängt, ihre Berufstätigkeit zugunsten tradierter Zuständigkeiten als Mutter, Hauslehrerin und Haushälterin hintanzustellen. Für Wissenschaftlerin Pokorny trifft diese These nicht so eindeutig zu: „Um von einer Retraditionalisierung der Rollenverteilung zu sprechen, müsste es aber erst einmal eine nicht traditionelle Rollenteilung gegeben haben. (…) Auch vor der Pandemie Ende 2019 sind traditionelle Rollenbilder noch recht verbreitet.“
Von „guten“ Müttern wurde laut Studie schon vor Corona häufig erwartet, in Teilzeit zu arbeiten und für das Essen der Familie zu sorgen, während ein „guter“ Vater nach allgemeiner Auffassung häufiger Vollzeit zu arbeiten hatte und sich um Reparaturen im Haus und die Steuererklärung kümmerte. Zusätzlich sollte er auch im Haushalt helfen, während von einer Mutter nicht mehr erwartet wurde, ihren Beruf komplett zurückzustellen und zu Hause zu bleiben. Das Geschlechterverhältnis bildete folglich einen nuancenreichen Mix aus Altem und Neuem ab. „Das wären Hinweise darauf, dass sich traditionelle Rollenbilder zwar zum Teil noch halten, zum Teil aber eben auch auflösen und vor der Pandemie durchaus eine gewisse Enttraditionalisierung stattgefunden hat“, äußert die Wissenschaftlerin.
Durch die Pandemie habe sich das grundsätzliche Muster der Aufgabenteilung in Partnerschaften wenig geändert, sondern eher verstärkt, konstatiert die Studie. Frauen fiel wieder stärker die Familienarbeit zu, ihre Partner engagierten sich mehr in den vertrauten „Hausmeister“-Aufgaben und Geldfragen.
Besonders bei der Kinderbetreuung fällt die Spezialisierung anfallender Arbeiten zu Lasten der Frauen ins Gewicht. Während der Kita- und Schulschließungen im Frühjahr 2020 kümmerten sich die Mütter mehrheitlich um die Kinderbetreuung. „Die schon bestehende ungleiche Verteilung zwischen Männern und Frauen ist also noch traditioneller geworden während der Pandemie“, besagt die KAS-Studie.
2021 gab fast die Hälfte der Teilnehmenden an, durch die Pandemie starken privaten, familiären und beruflichen Belastungen ausgesetzt zu sein. Eine große Rolle spielt der Zeitdruck – 2020 beklagten sich 19 Prozent der Befragten darüber, 2021 waren es schon 31 Prozent. Eltern mit minderjährigen Kindern waren besonders betroffen (43 %). In hohem Maße stressgeplagt zeigten sich auch Alleinerziehende. Schon bei der Befragung 2019 waren sie deutlich weniger zufrieden als andere Eltern: weniger glücklich, weniger ehrenamtlich engagiert, weniger berufstätig oder erfolgreich.
Die Studie stellt auch einen merklichen Einfluss des Homeoffice auf die Zufriedenheit mit der Familien- und Arbeitssituation fest. Sie ist noch zu Pandemiebeginn dort am höchsten, wo der Partner oder die Partnerin bzw. die Befragten selbst komplett im Homeoffice waren und fällt ab, wo Homeoffice nur teilweise oder gar nicht möglich war. Je länger die Pandemie andauert, desto mehr schwindet jedoch die Zufriedenheit mit der häuslichen Situation im Homeoffice.
Vorliegende Studie fördert zwar keine grundlegend neuen Erkenntnisse zutage, unterfüttert aber aktuelle Diskussionen und Streitthemen mit aktuellen empirischen Daten. Hieraus ergibt sich, dass die prägenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben der Familien wesentlich von Familienform, -größe und sozialem Milieu abhängt. Parallel zur verbreiteten Hoffnung auf eine Normalisierung des Alltags erwarten weit mehr als die Hälfte der Befragten (2020: 50 %; 2021: 63 %) langfristig große oder sehr große Veränderungen ihres Alltags- und Berufslebens. Ihnen ist klar, dass es ein einfaches Zurück zu vorpandemischen Zeiten nicht geben wird. Folglich kommt es darauf an, was die Familien aus den Erfahrungen der zurückliegenden Monate für ihr künftiges Zusammenleben gelernt haben.
Sabine Pokorny, Haushalt ist Frauensache? Studie zum Familienleben vor und während der Corona-Pandemie, Ergebnisse aus repräsentativen und qualitativen Befragungen, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Berlin 2021, 116 Seiten
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Familien in der Corona-Zeit: Herausforderungen, Erfahrungen und Bedarfe. Ergebnisse einer repräsentativen Elternbefragung im April und Mai 2020, Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend (Hg.), Berlin 2020, 38 Seiten
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