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Das ist kaum überraschend: 89 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Digitalisierung für Therapie und Gesundheitsversorgung in Zukunft wichtig sein wird, mehr als zwei Drittel sehen ihre Bedeutung auch für die Gesundheitsförderung. Doch zwischen Erwartung und eigenem Verhalten gibt es noch eine große Kluft, belegt eine Untersuchung aus Bremen. Neue Digitalangebote wollen diese Lücke schließen.
So nutzt aktuell nur etwa jeder Fünfte Gesundheits- oder Sport-Apps, jeder Vierte könnte sich vorstellen, künftig Apps zu Gesundheitsförderung oder zu Präventionsthemen herunterzuladen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health Bremen von Oktober 2020. Dabei wurden bundesweit rund 1.000 Teilnehmende zwischen 14 und 93 Jahren nach ihrer Einstellung zu und Nutzung von digitalen Technologien für gesundheitsbezogene Zwecke befragt.
Eine deutliche Diskrepanz zwischen Einschätzung und eigenem Verhalten konnten die Forschenden auch beim Thema „digitale Gesundheitskompetenz“ (eHealth Literacy) feststellen: So ist die Mehrheit der Teilnehmenden (73 - 91 %) zwar davon überzeugt, gesundheitsbezogene Informationen online finden, einordnen und nutzen zu können. Doch nur 43 Prozent fühlen sich sicher dabei, Gesundheitsentscheidungen aufgrund von Informationen aus dem Internet zu treffen.
Aus Sicht der Forschenden ist nicht ersichtlich, warum digitale Technologien für Gesundheit derzeit noch selten in Deutschland angewendet werden. Denn schließlich seien hierzulande fast alle Menschen über Internet und Smartphones erreichbar. „Digitalisierung erlaubt größere Flexibilität und gezieltere Anpassung an Bedarfe und Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen, wenn man nur einmal an die schnell umzusetzende Anpassung an verschiedene Sprachen wie beispielsweise in der Gesundheitskommunikation denkt“, so Mitautor Prof. Dr. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie, kürzlich in einem Interview. Jetzt gehe es darum, die einfache Erreichbarkeit der Menschen auch für sinnvolle Prävention und Gesundheitsförderung zu nutzen.
Um mehr Menschen für die Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen zu begeistern, sollten diese gemeinsam mit den künftigen Userinnen und Usern entwickelt werden, dabei seien auch sprachliche und technische Barrieren zu beachten, empfiehlt Zeeb. Denn vor allem ältere Menschen würden oft schlechter durch digitale Medien erreicht.
Doch auch bei den „digital natives“ steht es nicht zum Besten, was den Umgang mit Gesundheitsinformationen aus dem Netz angeht: Eine Studie zur digitalen Gesundheitskompetenz von Jugendlichen in Hessen fand im vergangenen Jahr heraus, dass fast die Hälfte der jungen Befragten vor allem Schwierigkeiten beim Suchen und bei der kritischen Bewertung von digitalen Gesundheitsinformationen hatte (jeweils 42 Prozent).
In diese Lücke ist jetzt die Stiftung Gesundheitswissen, eine Initiative des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, gestoßen: Im Rahmen ihrer Schulinitiative „Pausenlos gesund“ hat sie im Sommer die neue Lernplattform „Gesundweiser – spielend.digital.kompetent“ online gestellt. Sie soll Jugendlichen Wissen zum Thema digitale Gesundheitskompetenz vermitteln. „In Zeiten eines stark gestiegenen Informationsangebotes im Netz und einer Zunahme von bewussten Falschmeldungen, wird die Kompetenz das Internet als Informationsquelle richtig zu nutzen, Inhalte zu bewerten und sich so Wissen anzueignen, gerade bei Gesundheitsthemen besonders wichtig,“ so Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Den Auftakt macht der Kurs „Verlässliche Gesundheitsinfos im Netz erkennen“, in 2022 soll ein Kurs zu Gesundheits-Apps folgen.
Doch beim Thema Digitalisierung und Gesundheit kommt es nicht nur auf die Gesundheitskompetenz der Nutzenden an, sondern auch auf die Qualität und Seriosität des Angebotes. Denn nicht jede Gesundheits- oder Fitness-App ist auch eine zertifizierte digitale Gesundheitsanwendung – eine sogenannte DiGA. Dieses Format wurde Anfang 2020 als neue Regelleistung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Es sind Programme für Tablets oder Smartphones, die Erkrankten dabei helfen sollen, Krankheiten oder Verletzungen zu erkennen, zu lindern, zu überwachen und zu behandeln. Sie werden als Medizinprodukte eingestuft und müssen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert werden. Voraussetzung für eine Zertifizierung ist die Erfüllung von gesetzlich festgelegten Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit – und der Nachweis eines positiven Versorgungseffektes.
Aktuell gibt es rund 24 zugelassene DiGAs, unter anderem für Übergewichtige, Menschen mit Herzproblemen, Rückenschmerzen oder psychischen Problemen. Besonders häufig genutzt wird die Tinnitus-App Kalmeda und die App Vivira, die zur Behandlung von Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen dient. Eine aktuelle Befragung der AOK Rheinland/Hamburg unter ihren Versicherten hat ergeben, dass rund 57 Prozent ihre Krankheit durch die Nutzung einer DiGA besser verstehen. Allerdings gaben auch 44 Prozent an, dass die App keine nennenswerte Verbesserung gebracht habe.
Für die Forscherinnen und Forscher aus Bremen ist klar: Im Feld Digitalisierung und Gesundheit gibt es weiteres Forschungspotenzial. So müssten die Wirkung von digitalen Technologien auf Gesundheit evaluiert und die Gründe für das eher geringe Vertrauen in internetbasierte Informationen für Gesundheitsentscheidungen analysiert werden. Denn die Corona-Pandemie habe beispielhaft gezeigt, dass die Bevölkerung in Deutschland zwar über viele Informationen verfüge, es aber an Vertrauen in diese Informationen mangele. Vor allem für Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz sei es schwer, Fake News als solche zu erkennen.
Karina De Santis / Tina Jahnel / Hajo Zeeb u. a., Digitalisierung und Gesundheit: Ergebnisse einer bundesweiten Befragung in Deutschland. Bremen: Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie- BIPS GmbH, Juni 2021, 24 Seiten
Download
Digitale Gesundheits-Kompetenz von Jugendlichen. Eine mehrperspektivische Betrachtung aus Sicht von Schüler*innen, Lehrkräften und Schulleitungen weiterführender Schulen in Hessen, 2020: Download
Gesundweiser – Angebot für Jugendliche der Stiftung Gesundheitswissen: https://gesundweiser.de
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