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Harper Collins Verlag, Hamburg 2021, 22 Euro
Gute Mütter basteln, backen, putzen und machen alles aus purer Liebe – ihre Arbeit wird trotzdem nicht als Arbeit gewürdigt, bleibt unsichtbar und unbezahlt. Die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes aus Berlin zeigt auf, wie das historisch gewachsene Stereotyp der guten Hausfrau und Mutter erfunden wurde – und weshalb es heute noch so wirkmächtig ist. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Evke Rulffes per Skype über die Entwicklung geschlechterspezifischer Arbeitsteilung und die Geschichte einer Entwertung gesprochen.
Kinder, Küche, häuslicher Komfort: Sich darum zu kümmern sind für Evke Rulffes fordernde und dennoch weitgehend „unsichtbare" und vor allem unbezahlte alltägliche Arbeiten. Sie werden seit gut 250 Jahren fast ausschließlich von Frauen wahrgenommen. In der Pandemie und der häuslichen Lockdown-Isolation trat das erneut überdeutlich hervor: 69 Prozent der Frauen gaben in einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung Ende 2020 an, dass sie die Hausarbeit erledigen, während nur elf Prozent der Männer das von sich behaupteten.
Woran liegt es, dass sich diese anachronistische Rollenverteilung so hartnäckig hält? Denn das war keineswegs immer so. Dass sich das Stereotyp der bürgerlichen Hausfrau erst im 19. Jahrhundert etabliert hat, belegt Evke Rulffes eindrucksvoll durch historische Haushaltsratgeber. „Weil sich darin gut die Verteilung von Geschlechterrollen ablesen lässt, mal subtil, mal patriarchal, mal moralisch“, sagt Evke Rulffes im Skype-Interview. Es begann mit dem Arbeitsehepaar, das bis Ende des 18. Jahrhunderts als Hausmutter und Hausvater auf Augenhöhe Gutshöfe bewirtschaftete.“ Erst im 19. Jahrhundert erfolgte die Trennung von Privat (Haushalt) und Öffentlich (Beruf des Mannes) in der wachsenden bürgerlichen Schicht. Managten Frauen zuvor als angesehene und machtvolle „Hausmütter" einen Haushalt mit vielen Beschäftigten, beendete das Ideal der Liebesheirat diesen Zustand.
In der wachsenden bürgerlichen Schicht wurde es stattdessen populär, dass häusliche Arbeit nur noch von der Ehefrau geleistet wurde. Wie emanzipiert sich die heutige Generation von ihren Großmüttern und deren eingekochten Zwetschgen auch fühlen mag, spätestens wenn der Kuchen für den Kindergeburtstag nicht selbstgebacken ist, wird deutlich: Trotz aller Emanzipation lastet weiter der unausgesprochene Druck auf der modernen Frau, eine gute Hausfrau und eine gute Mutter zu sein hat. Die Entwertung der einst mächtigen Hausmutter hat sich aus ideologischen Motiven entwickelt – und zwar sehr zum Nachteil der Frauen.
Evke Rulffes beschäftigt sich bereits während ihres Studiums an Berliner Humboldt-Universität mit der Entwicklung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. 2018 veröffentlichte sie ihre Doktorarbeit „Die angewiesene Frau“, in der sie sich mit Haushaltsratgebern aus der Spätaufklärung beschäftigt hat: „Die Erfindung der Hausfrau“ basiert auf ihrer Dissertation – und auf dem Ratgeber „Die Hausmutter in allen ihren Geschäften“ von dem evangelischen Landgeistlichen Christian Friedrich Germershausen, erstmals veröffentlicht 1778, also vor 240 Jahren, zehn Jahre vor der französischen Revolution. „Ein Riesenwälzer, fünf Bände, jeder Band 800 bis 900 Seiten“, sagt Evke Rulffes, „das war das erste Buch, das sich nur an Frauen richtete.“ Für die Autorin ist die Tatsache, dass ein Geistlicher auf 4500 Seiten Tipps und Anleitungen für den Haushalt gibt, schon erstaunlich: Vom Kochen, Konservieren, über Tierkrankheiten, Betriebsmanagement, Eheführung, Schwangerschaft, Hebammenkunst und Kindererziehung. Bemerkenswert sei, dass Germershausen „die Frauen auf Augenhöhe als selbstbewusste Betriebsleiterin angesprochen hat, die mit dem Mann gemeinsam den Hof, das Anwesen leitet“.
Kaum zu glauben: Die Hausmutter war eine mächtige Vorläuferin der später abgewerteten Hausfrau. Niemand hätte sie abschätzig als Hausmütterchen tituliert, denn sie hatte viel Personal unter sich: Köchinnen, Ammen, Kindermädchen, Ochsenjungen, Gärtner, Kutscher, Hirten, Milchmägde, Knechte waren zu kontrollieren, zu versorgen, zu bezahlen. Sie stand weder selbst in der Küche, noch wusch, wickelte oder melkte sie und erst recht backte sie keine Kuchen für Kindergeburtstage. Für Evke Rulffes war die Hausmutter eher eine frühe Managerin.
Das änderte sich im 19. Jahrhundert total. Vordergründig sollte nun aus romantischer Liebe geheiratet werden, nicht mehr aus rein ökonomischen Gründen. Folglich wurde erwartet, dass die Ehefrau „ihre“ Hausarbeiten aus Liebe zum Ehemann freiwillig übernahm und kein Recht auf Gegenleistung hatte. „Eine Falle, die gefühlt bis heute Auswirkungen hat“, sagt Evke Rulffes. Das bürgerliche Ideal der Liebesheirat erwies sich als Bumerang: Die Gattin verpflichtete sich, häusliche Arbeiten als „Liebesdienst“ zu versehen und musste folglich als Amateurin immer mehr Arbeit von Experten übernehmen, die vorher für Geld ausgeführt wurden.“ Die Zahl der Bediensteten im Haus schrumpfte, nicht zuletzt, weil die bürgerlichen Männer zu wenig Einkommen erzielten, um Gesinde oder eine Köchin zu entlohnen. Neue bürgerliche Erziehungsnormen propagierten stattdessen das Ideal der sich stetig kümmernden Mutter und Hausfrau, die zum mentalen Wohl der Familie die Emotionsarbeit leistete – für Evke Rulffes das perfekte Argument, Frauen von bürgerlichen Rechten wie Bildung und Berufsausübung auszuschließen.
Evke Rulffes These: Ein Ursprung des „krassen Konzepts“ der Mutter und Hausfrau wurde bereits im 19. Jahrhundert gelegt, als im Bürgerlichen Gesetzbuch die „Hausfrauen-Ehe“ eingeführt wurde, die ihre Hochzeit in den 50er und 60er Jahren in der BRD hatte, weil die Heiratsdichte so hoch war. Dahinter steckt für die Autorin: Das gesamte Vermögen der Frau unterlag dem Mann, sie war jetzt gesetzlich dazu verpflichtet, seinen Haushalt zu führen, sich um die Kinder zu kümmern, durfte aber keine Verträge unterschreiben, nicht Geld verdienen, keinen Führerschein machen, kein Bankkonto eröffnen. Der Mann hatte die Entscheidungsgewalt über alles. Dieses Konzept der unbedingten Unterordnung der Ehefrau unter ihren Mann, die sogenannte Hausfrauenehe, wurde erst 1977 durch das Partnerschaftsprinzip ersetzt - in der DDR wurde die Hausfrauenehe dagegen bereits mit der Staatsgründung 1949 abgeschafft.
„Die Auswirkungen spüren wir tatsächlich heute noch“, so Evke Rulffes. Von der ökonomischen Argumentation – man schmeißt gemeinsam den Betrieb, ist beteiligt an der gemeinsamen Vermögensschaffung – im 18. Jahrhundert hin zur Liebesargumentation: die Ehefrau soll den Haushalt unbezahlt aus Liebe zu Mann und Familie führen. Für die Autorin ein Knackpunkt und bis heute ein Problem: „Haushalt, Care-Arbeit und Kinderbetreuung wird wahrgenommen als eine Entscheidung aus Liebe und es wird nicht mehr gesehen, dass es eigentlich eine Struktur ist, gegen die man sich nicht mehr wirklich wehren kann. Denn das hieße im Umkehrschluss, man liebt seine Familie nicht genug.“
Hinzu kommt, was die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes die De-Professionalisierung der Hausarbeit nennt. „Die Tochter soll alles von der Mutter lernen, was aber in vielen Familien real gar nicht gegeben ist. Dann steht die Tochter da, hat nicht wirklich kochen gelernt, fühlt sich schlecht und denkt: Ich zerstöre das Glück meiner Ehe.“ Wieso das so war? „Keine Ahnung, ich verstehe es auch nicht“, sagt die Autorin. „Gegen Ende des 18. Jahrhundert wurde sehr viel Stimmung gegen gelehrte Frauen gemacht. Das einzige Rollenmodel, das übrigblieb und stark propagiert wurde, war die Hausfrau. Ich kann es nur mit einer allem zugrundeliegenden Frauenfeindlichkeit begründen. Es war eine patriarchale Gesellschaft – und ist es immer noch.“
Das bisschen Haushalt nebenbei zu erledigen, Lieferdienste nur mit schlechtem Gewissen zu nutzen, lieber selber versuchen zu kochen, dieser Anspruch ist Berufstätigen heute ziemlich vertraut. Solche wirkmächtigen Rollenbilder haben sich nicht einfach so aus dem Nichts entwickelt, sondern entstanden kühl kalkuliert aus ideologischen Motiven – und stets zum Nachteil von Frauen. Es gibt zwar digitale Küchengeräte, Vollzeitjobs, Koch-Apps und Kanzlerinnen, aber das hat wenig an den vor über 200 Jahren installierten Gender-Stereotypen geändert. „Ganz klar eine Falle“, resümiert Evke Rulffes. „Weil Hausarbeit und die ökonomische, sozial wertvolle Care-Arbeit nicht als Arbeit anerkannt werden, hat man das Gefühl, sie müsse irgendwie nebenbei geschehen. In dem Moment, wo alle Vollzeit arbeiten, vielleicht Kinder da sind, ist das überhaupt nicht mehr zu leisten – ein Burnout ist vorprogrammiert.“
„Die Erfindung der Hausfrau“ liest sich enorm spannend, ist gründlich recherchiert und liefert einer Menge Aha-Effekte. Keine politische Streitschrift, sondern ein nüchterner, präziser kulturhistorischer Abriss. Die absurden Anekdoten verleiten oft zum Lachen, aber beim Blick in die Gegenwart und angesichts der andauernden Wirkmächtigkeit dieser Einordnungen, nicht zuletzt während der Pandemie, manchmal zum Weinen. Die Autorin rät, dass Care-Arbeit mehr gewertschätzt, bezahlt und als grundlegende Arbeit für die Gesellschaft anerkannt werden muss. „Kein neuer Name für das Wort ‚Hausfrau‘, weil man weg muss von der einen Person“, sagt Evke Rulffes. Waschen, kochen, putzen, Kinder erziehen, die gesamte Arbeit müsste auf viele Schultern verteilt und entsprechend honoriert werden. Wohl wahr.
Weiterführende Links:
www.jungewelt.de/artikel/413929.rezension-gezielt-entwertet.html
www.br.de/kultur/buch/die-erfindung-der-hausfrau-100.html
https://taz.de/Sachbuch-Die-Erfindung-der-Hausfrau/!5814335/
www.deutschlandfunkkultur.de/evke-rulffes-die-erfindung-der-hausfrau-eine-schleichende-100.html
alle abgerufen am 03.02.2022
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