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Der Fachkräftemangel in der Pflegebranche ist ein echter Dauerbrenner, hat aber in jüngster Zeit noch an Brisanz gewonnen. Mediale Berichterstattung mit der Überschrift „Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job“* trägt nicht eben zur Beruhigung bei. In dieser Situation rückt eine strategisch fundierte Personalbeschaffung in den Mittelpunkt unternehmerischer Zukunftssicherung. Wie rekrutiert die Sozialwirtschaft, was könnte sie besser machen? Diesen Fragen geht die Unternehmensberatung contec in ihrem conQuaesso JOBS Recruiting Report 2021 nach.
An der Untersuchung beteiligten sich Führungskräfte von bundesweit 134 Unternehmen der Alten-, Eingliederungs-, Kinder- und Jugendhilfe und von Komplexträgern. 81 Prozent waren freigemeinnützige Träger. Große Organisationen mit mindestens 500 Beschäftigten machten die Hälfte (52 %) der Befragten aus, kleinere und mittelständische Träger mit bis zu 200 bzw. 499 Beschäftigten jeweils rund ein Viertel (23 bzw. 25 %).
Knapp zwei Drittel der Befragten (63 %) nahmen den Fachkräftemangel im zurückliegenden Jahr als stark bis sehr stark einschränkend wahr – 23 Prozent mehr als 2018. Zur Personalgewinnung eingesetzt wurden vor allem die eigene Unternehmenshomepage (97 %) und Online-Jobbörsen (76 %). Printmedien verloren an Beliebtheit und kommen nunmehr auf 23 Prozent. Auffallend ist der zurückhaltende Einsatz sozialer Medien und onlinebasierter Tools: Facebook (30 %), Instagram (18 %), Business-Netzwerke (13 %) und Google Marketing (11 %).
In Zeiten, da sich Unternehmen regelrecht um Personal bewerben müssen, hat die Wahl des richtigen Kommunikationskanals entscheidenden Einfluss. Hier kommt die Nutzung mobiler Endgeräte ins Spiel, der Trend gerade junger Fach- und Führungskräfte, sich unkompliziert via Smartphone und Tablet zu bewerben, erläutern die Autor*innen. Trotzdem nehmen die teilnehmenden Unternehmen Job-Bewerbungen vorrangig per E-Mail oder postalisch entgegen, bieten nur 63 Prozent ein Online-Bewerbungsformular an. „Derartige Bewerbungshürden (…) könnten ein Grund dafür sein, dass Organisationen, die sich dem Trend nicht anpassen, weniger Bewerbungen erhalten.“
DieVerunsicherung durch die Pandemie hat die Anforderungen an neue Mitarbeiter*innen auffallend verändert. Fachkräfte müssen sich erhöhten Ansprüchen an Durchhaltevermögen, Veränderungsbereitschaft und Problemlösungskompetenz stellen, leitende Mitarbeiter*innen sollten sich im Krisenmanagement bewähren können. Daneben schält sich die enge Passung der Kandidat*in mit der Unternehmenskultur als erfolgskritischer Faktor heraus. Für 84 Prozent gibt dieser sog. Cultural Fit den Ausschlag bei der Personalentscheidung.
Auch die Bewerber*innen denken um: Geld ist ihnen nicht alles, bestätigt die Erhebung. Im Zuge der Corona-Pandemie gewannen bei ihnen Stabilität und Sicherheit an Wertschätzung. Neben flexiblen Arbeitszeiten beurteilen sie eine gute Unternehmenskultur als attraktivitätssteigernden Aspekt bei der Jobsuche.
Die Analyse relevanter Kennzahlen im Recruiting-Prozess unterstützt die zielgenaue Personalbeschaffung. Beispiele sind die Erfassung der durchschnittlichen Kosten und des Zeitaufwands für die Besetzung einer Vakanz (Cost-per-Hire und Time-to-Hire). „Ein systematisches Controlling zeigt auf, welche Wege der Personalbeschaffung im individuellen Fall einer Organisation besonders erfolgreich sind und auf welche Kanäle es sich in Zukunft zu fokussieren gilt.“ Überraschend sei, dass nur knapp die Hälfte der befragten Unternehmen regelmäßig rekrutierungsrelevante Kennzahlen erfasse, wohingegen 61 Prozent der Einrichtungen mit Kennzahlenerfassung gezielte Recruiting-Strategien ausgearbeitet hätten.
Die Studie thematisiert die Selbstbeschränkung trotz erwiesener Vorteile von Social-Media-Recruiting wie die Vergrößerung von Reichweite und Bekanntheit des Unternehmens. Als größte Hürden gelten fehlende zeitliche und personelle Ressourcen, gefolgt von einem Mangel an Know-how in der Handhabung entsprechender Tools, etwa im Aufbau eines eigenen Social-Media-Kanals und der kontinuierlichen Pflege. Digitale Instrumente würden als zu teuer eingestuft, ihr Nutzen werde nicht erkannt. Die Schlussfolgerung: „Um das gesamte Potenzial zu nutzen und den gewünschten Erfolg zu erzielen, kommt es deshalb auf kreativen Content und die Nutzung des richtigen sozialen Netzwerks an.“
Die Autor*innen belegen den Rückstand der Sozialwirtschaft bei Social Media und onlinebasierter Recruiting-Tools im Vergleich zu anderen Branchen, erblicken aber positive Tendenzen. Vielerorts sei der Wille zu beobachten, in digitales Recruiting zu investieren. Einrichtungen, die routinemäßig Fach- und Führungskräfte in deren digitalen Netzwerken kontaktierten, seien zunehmend vom Erfolg des Social-Media-Recruitings überzeugt.
Michael Malovecky / Anika Selle / Philipp Heinen / Robin Kinski, conQuaesso® JOBS Recruiting Report - Wie rekrutiert die Sozialwirtschaft? Geschäftsjahr 2021, Bochum 2021, 40 Seiten
*Dazu: ZEIT-Online: Pflegekräfte fliehen massenhaft aus dem Job, 13.01.2022 (aufgerufen am 05.03.2022):
Zum „Pflexit” siehe auch Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Vincentz Network (Hgg.), Altenpflege im Fokus 2021. Online-Befragung von Pflegefachpersonen in der stationären Langzeitpflege, Hannover, 41 Seiten (s. BFS-Trendinfo 3/2022: Ein wunderbarer Beruf und was daraus geworden ist).
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