Ärzte ohne Grenzen

Ob Impfkampagnen, chirurgische Nothilfe oder psychologische Betreuung - die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische Hilfe für Menschen deren Überleben durch Konflikte, Epidemien oder natürliche Katastrophen gefährdet ist.

SozialBank
Kurz und komplett
Über die Organisation

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische Hilfe in Ländern, in denen das Überleben von Menschen durch Konflikte, Epidemien oder natürliche Katastrophen gefährdet ist. Obwohl die Organisation vorrangig medizinisch arbeitet, sorgt sie auch für sauberes Trinkwasser, Nahrungsmittel, Unterkünfte oder allgemeine Hilfsgüter.

Einsatzschwerpunkte

Basismedizin, Behandeln von Infektionskrankheiten wie HIV/Aids, Tuberkulose oder Kala Azar, chirurgische Nothilfe, Bekämpfung von Epidemien, Durchführung von Impfkampagnen, Errichtung von Ernährungszentren, Mutter-Kind-Versorgung, psychologische Hilfe, medizinische Ausbildung lokaler Mitarbeiter

Gründungsjahr

1971

Anzahl Mitarbeitende

200 in der deutschen Sektion, weltweit rund 40.000

Kunde der SozialBank seit

1993

Herr Katzer, in fast 500 Projekten und über 85 Ländern der Erde ist Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. Wie erleben Sie die Corona-Pandemie?

Die Pandemie spiegelt uns ganz klar wider, wo Gesundheitssysteme nicht funktionieren. Das merke ich immer wieder, wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen in unseren Einsatzgebieten spreche. Sie sagen mir ganz klar, dass man die Auswirkungen der Pandemie in vielen Ländern gar nicht so stark merkt, weil die Gesundheitsversorgung immer so schlecht ist, dass die Sterblichkeit unsagbar hoch ist. Da herrscht eine Realität, die einfach viel ernster und viel leidvoller ist. Das merke ich immer wieder im täglichen Leben.

Für uns als Organisation und für mich als Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen ist es daher ganz wichtig, Gesundheit und Gesundheitsversorgung als Menschenrecht weltweit zu denken und sich nicht in seine eigene Räume zurückzuziehen. Auch wenn ich es menschlich sehr gut nachvollziehen kann, dass man sich um seine Liebsten kümmert und dafür sorgen will, dass ihnen in nichts Schlimmes passiert, halte ich es für ganz wichtig, daran zu erinnern, dass wir alle Teil der Bevölkerung auf dieser Welt sind. Und nur, wenn es bei der Gesundheitsversorgung Gerechtigkeit gibt, dann gibt es auch Sicherheit hier bei uns.

In welchen Ländern sind sie zurzeit überall tätig?

Wir arbeiten in über 70 Ländern weltweit und in eigentlich allen Ländern sehen wir die Auswirkung der Pandemie. Nicht in allen Ländern sind wir wirklich direkt da, um die Pandemie zu bekämpfen. Aber natürlich haben wir in jeder einzelnen Gesundheitsstation, in jedem einzelnen Krankenhaus, in dem wir arbeiten, besondere Hygienemaßnahmen eingerichtet, damit – ähnlich wie man es von hier kennt – Abstand gehalten wird und Patient*innen sich nicht untereinander infizieren. In einigen Ländern wie zum Beispiel im Jemen, in Brasilien und jetzt in Indien haben wir spezielle Programme, die sich ausschließlich um Patient*innen kümmern, die an Covid-19 erkrankt sind. Da geht es dann ähnlich wie hier um die medizinischen Behandlungen, und – so weit, wie das möglich ist – um Intensivbehandlung. Bei der Versorgung – gerade in Brasilien und Indien – müssen wir auch dafür sorgen, dass genug Sauerstoff für bestehende Krankenhäuser da ist. Und wir setzen uns dafür ein, dass die Zahl der Intensivbetten in den einzelnen Ländern, wie zum Beispiel im Jemen, erhöht wird, damit Patient*innen, die eine medizinische Versorgung benötigen, diese auch erhalten können.

Worauf kommt es jetzt besonders an?

Letztendlich kommt es darauf an, dass das Bewusstsein dafür entsteht, was im Rest der Welt passiert. Während hier alle hoffen, Zugang zu einer Impfmöglichkeit zu bekommen – und hier in Deutschland geht es ja eher um ein paar Wochen –, sieht es in anderen Teilen der Welt viel schlimmer aus. Wenn wir mit demselben Rhythmus weitermachen, mit dem jetzt im Moment in vielen Ländern dieser Welt geimpft wird, dann würde es noch 50 Jahre dauern, bis alle Menschen geimpft sind. Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass Impfstoffe in allen Ländern zur Verfügung stehen. Gesundheitssysteme, die sowieso schon schwach sind, sind nicht in der Lage, mit erhöhten Zahlen von Covid-19-Patient*innen umzugehen. Eine Erkrankung mit Covid-19 bedeutet in vielen Ländern der Welt ein extremes Risiko. Daher geht es jetzt darum, Impfstoffe weiter zu verteilen und den Patentschutz aufzuheben, damit weltweit Impfstoffe produziert werden können und der Zugang zu Impfstoffen global gerechter wird.

Wie schätzen Sie hier die Lage ein? Ist es absehbar, dass das umgesetzt wird?

Ich bin recht enttäuscht zu sehen, dass die europäischen Regierungen und allen voran die deutsche Bundesregierung sich bei den Verhandlungen um das TRIPS-Abkommen quer stellen. Es geht darum, Patente und Know-how an Firmen im südlichen Afrika und in Indien zu transferieren, die sehr wohl in der Lage sind, auch kompliziertere Impfstoffe herzustellen, wenn sie den Zugang zu den Inhaltstoffen bekommen. Wir sehen die deutsche Regierung und die Firmen, die hier in Deutschland produzieren und forschen, in der besonderen Verpflichtung, weil sie durch deutsche Gelder, auch Steuergelder, unterstützt werden. Von daher gibt es meiner Meinung nach eine Verpflichtung, dieses Wissen global zur Verfügung zu stellen.

Die Corona-Pandemie überlagert viele andere Krisen der Welt. Wem oder was sollte man noch mehr Aufmerksamkeit widmen?

In Deutschland ist es ja schon ein geflügeltes Wort: Die Pandemie als „Brennglas“, als „Lupe“ auf gesellschaftliche Zustände. Das sehen wir in vielen Ländern, in denen wir arbeiten, auch. Wir sehen, dass die Auswirkungen des Klimawandels, die Veränderungen bei der Temperatur und beim Niederschlag dazu führen, dass immer mehr Menschen Hunger leiden und es zu Migrationsbewegungen auch innerhalb der Länder kommt. So ziehen Menschen z.B. in Bangladesch aus der Küstenregion in die Städte, weil sie wegen häufigen Überschwemmungen in ihren Heimatgebieten nicht mehr leben können. In den großen Städten verlieren sie ihre Versorgungsgrundlage und müssen ihre Arbeitskraft komplett unter Wert verkaufen, um zu überleben. In diesen prekären Lebens- und Arbeitssituationen besteht ein hohes Gesundheitsrisiko. Das ist ein Kreislauf, der oft nicht gesehen wird: der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Migration, aber auch zwischen den Auswirkungen von Klimaveränderungen, Kriegen und Konflikten, wo immer wieder Zivilisten zu Opfern werden und es immer wieder in eine Spirale von Vertreibung und Flucht mündet. Dem wird im Moment zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, weil die Pandemie gerade hier so ein vorherrschendes Thema ist.

Merken Sie das auch an den Spenden, dass viel mehr für Hilfsprojekte im Zusammenhang mit der Pandemie gespendet wird?

Zwei Dinge: Um einen möchte ich mich sehr bei der großen Unterstützungsbereitschaft der Menschen hier in Deutschland bedanken. Wir bauen auf eine extrem große Zahl von Einzelspenden. Die durchschnittliche Einzelspende liegt ungefähr bei 100 Euro im Jahr, und wir haben gerade im letzten Jahr gesehen, dass diese Unterstützung zunimmt. Zum anderen hoffen wir als Organisation, dass die Menschen uns vertrauen, dass wir das uns anvertraute Geld in den Bereichen einsetzten, von denen wir denken, dass es am nötigsten gebraucht wird. Im Moment bekommen wir relativ moderat Spenden mit fester Zweckbindung. Wir sehen eine große Bereitschaft zu teilen – mit Menschen, die keinen Zugang zur Gesundheitsvorsorgen haben.

Welche sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Erfolgsfaktoren für Ärzte ohne Grenzen?

Ich glaube, dass die Transparenz und Ehrlichkeit, mit der wir in Deutschland, aber auch in den Ländern, in denn wir uns engagieren, auftreten, ein großer Teil davon ist. Wir sprechen mit den Menschen, sind sehr ehrlich, was wir tun können und was nicht. Wenn ich zum Beispiel an meine Kollegen in Bangui denke: Wir können dort keine mit Deutschland oder Europa vergleichbare Intensivstation betreiben. Da müssen wir sehr klar mit den Patient*innen kommunizieren, dass wir zwar eine den Umständen entsprechende, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung anbieten wollen, aber da auch Limitationen haben.

Das andere ist, dass wir durch den Kontakt mit der Bevölkerung und den am Konflikt beteiligten Kriegsparteien mit Transparenz und Offenheit eine Akzeptanz schaffen können, die es uns erlaubt, in diesen Gebieten zu arbeiten. Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein wichtiges Thema für alle Menschen. Wir haben in der Pandemie gesehen, dass es wirklich alle und jeden betrifft. Wenn wir mit Konfliktparteien verhandeln, dann ist das ein Thema, das den Menschen, die da mit uns am Schlagbaum stehen, sehr verständlich ist. Aus dieser Fokussierung auf humanitäre medizinische Hilfe ziehen wir als Organisation sehr viel Stärke – und natürlich auch aus der großen Unterstützung in Deutschland und weltweit für unsere Arbeit.

Sie sind von Hause als Ingenieur und arbeiten schon seit 20 Jahren bei Ärzte ohne Grenzen. Wie kamen sie dazu?

Mir war schon immer bewusst, dass ich sehr viele Privilegien habe und habe nach Möglichkeiten gesucht zu teilen. Das Ingenieurstudium begann ich aus Interesse heraus. Ich habe dann eine Weile als Bauingenieur gearbeitet, aber dann gemerkt, dass Neugier auf andere Menschen, andere Länder gepaart mit dem Bedürfnis, etwas zu teilen, mir sehr liegen und ich hier mein Hauptaugenmerk setzen möchte. Durch Zufall bin ich dann auf Ärzte ohne Grenzen gestoßen. Mir war zunächst nicht klar, dass 40 Prozent der Mitarbeiter*innen der Organisation Nicht-Mediziner sind. Ich bin über eine Anzeige gestolpert, habe mich beworben und schnell gemerkt, dass ich meine Erfahrung gut in solche Projekten einbringen kann. Mit den Jahren habe ich mehr Verantwortung übernommen und die letzten sechs Jahre die Projektabteilung in Berlin geleitet. Dort war ich direkt verantwortlich für Projekte z.B. im Jemen, in Äthiopien, im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik. Zwischendurch habe ich noch einen MBA gemacht, der mir auf der Managementseite die Möglichkeit eröffnet, das Wissen anzuwenden und weiterzugeben.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Ganz praktisch ist es so, dass ich zunächst in Liberia als Ingenieur gearbeitet habe. Da war es meine Aufgabe, drei Krankenhäuser zu renovieren und wieder aufzubauen, die durch den Krieg zerstört worden waren. Dann ging aber der Konflikt wieder los, sodass wir unser Projekt wieder einstellen mussten. Daraufhin habe ich mich in einem Vertriebenenlager um die Logistik gekümmert und provisorisch eine Klinik aufgebaut. Und dafür gesorgt, dass die Medikamente, die in die Hauptstadt geliefert wurden, in dem Projekt ankamen, dass das Team wohnen und essen konnte – also so alles drumherum. Danach, bei einem größeren Choleraausbruch in der Hautstadt Monrovia, ging es darum, ein Behandlungszentrum aufzubauen. Da spielten Hygiene und Schutz vor Ansteckung eine große Rolle. So habe ich einen Schwerpunkt beim Aufbau und Betreiben von Isolierstationen entwickelt. Ich war dann bei mehreren Ebola-Ausbrüchen 2000 und 2003 in Uganda und Gabun und bei einem Ausbruch 2004 in Angola. Dort arbeiteten wir daran, die Infektionsketten in der Bevölkerung zu unterbrechen. Und natürlich mussten wir dafür sorgen, dass die medizinischen Mitarbeiter*innen von Ärzte ohne Grenzen in den Isolierstationen ausreichend geschützt sind. Also ein bisschen so, wie wir es jetzt sehen.

Ihre Organisation ist schon lange bei der Bank für Sozialwirtschaft. Was erwarten Sie von Ihrer Bank?

Als Organisation haben wir uns sehr bewusst für eine Bank entschieden, die sich um die Gesellschaft kümmert, in der sie geschäftlich tätig ist. Weil wir die Verantwortung für die Menschen, mit denen und für die wir arbeiten, auf allen Ebene sehen. Ich finde es sehr gut, dass wir dieses Gespräch heute führen, dass Sie Ihren Kundinnen und Kunden Zugang zu der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen verschaffen und damit auch eine Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Das finde ich sehr wichtig.

 

© Ärzte ohne Grenzen e. V.

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