Campact will politisches Engagement als Bürgerbewegung stärken und treibt Kampagnen progressiver Politik voran. Zurzeit sind es ökologische Themen wie die Agrarwende mit dem Einsatz für ein Verbot von Glyphosat und gegen Patente auf Leben. Außerdem spielen Energiethemen wie der Kohleausstieg, die Verkehrswende und eine gerechte Handelspolitik eine große Rolle. Campact setzt sich – auch mit der Petitionsplattform WeAct – gegen Rechtspopulismus und für Minderheitenschutz ein.
2004
130
rund 3,5 Millionen Newsletter-Abonnent*innen
2006
Dr. Felix Kolb ist Politikwissenschaftler und hat zwischen 2002 und 2005 an der FU Berlin über die politischen Auswirkungen sozialer Bewegungen promoviert. Nach dem Studium war er Pressesprecher des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Zusammen mit Christoph Bautz und Günter Metzges gründete er 2004 Campact. Geschäftsführender Vorstand
Homepage Campact e.V.Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Begründung ist, dass politische Bildungsmaßnahmen nur dann die Voraussetzungen eines anerkannten steuerbegünstigten Zwecks erfüllen, wenn sie ergebnisoffen erfolgen. Die Verfolgung politischer Ziele durch Einflussnahme auf die politische Willensbildung erfüllt demnach keinen gemeinnützigen Zweck. Auch Campact ist von dem Urteil betroffen. Sie haben beschlossen, vorsorglich keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen, weil Sie befürchten, dass auch Campact die Gemeinnützigkeit verliert. Wie bewerten Sie das Urteil?
Das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs, des BFH, schränkt die Redefreiheit für die gesamte kritische Zivilgesellschaft massiv ein. Wir halten es für toxisch. Denn der BFH erklärt politische Meinungsäußerungen im Grundsatz für unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit. Wir fordern den zuständigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf, umgehend einen Vorschlag für eine Anpassung der Abgabenordnung vorzulegen. Der Begriff „politische Bildung” muss dringend zeitgemäß definiert werden. Campact hat zusammen mit der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung” eine Online-Kampagne gestartet, die diese Reform einfordert.
Campact macht Kampagnen für jeden Einzelnen möglich. Wie funktioniert das?
Um die Erderhitzung zu stoppen, ist die Energiewende einfach unverzichtbar. Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Kohlenutzung. Dazu arbeiten auch wir seit Jahren. Doch als der Energiekonzern RWE im letzten Sommer ankündigte, den Hambacher Wald für die Förderung von Braunkohle abzuholzen, da war für sehr viele Menschen das Maß der Unvernunft voll. Und Campact ist gut darin, solche gesellschaftlichen Strömungen zu erkennen, zu kanalisieren und noch mehr Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Unseren Appell zur Rettung des Waldes haben wir in Kooperation mit vielen großen Umweltverbänden gestartet und bekamen so in kurzer Zeit 750.000 Unterschriften zusammen. Diese haben wir den verantwortlichen Politiker/innen überreicht. Wir haben das Thema des Kohleausstiegs immer wieder sichtbar gemacht, indem wir jede Sitzung der Kohlekommission – egal, wo sie stattfand – mit buntem Protest begleitet haben. So konnten wir, wieder im Bündnis, 50.000 Menschen dazu bewegen, Anfang Oktober zum Hambacher Wald zu kommen und schließlich den Rodungsstopp zu feiern. Durch das greifbare Beispiel des bedrohten Waldes können wir unsere Forderungen für die Energiewende und den Kohleausstieg anschaulicher transportieren. So entstand eine neue Klimaschutzbewegung. Jetzt sind wir alle durch die Demonstrationen #fridadysforfuture rund um die schwedische Schülerin Greta Thunberg beflügelt.
Sie haben mittlerweile rund 3,5 Millionen Newsletter-Abonnenten, über 500.000 Facebook-Fans und fast 150.000 Follower bei Twitter. Was ist das Besondere an Campact?
Das Besondere ist, dass jedermann/jederfrau ganz nah an der Entwicklung des politischen Prozesses dabei sein kann und spürt, dass sein oder ihr Tropfen Teil des Ozeans ist. Dadurch, dass wir immer alle auf dem Laufenden halten, arbeiten wir gegen das Gefühl der Ohnmacht und der Politikverdrossenheit.
Per Klick Online-Appelle unterschreiben kann jeder, aber wenn daraus echtes Engagement werden soll, gehört doch sicher mehr dazu. Wie sind Sie sich der realen Unterstützung der Bürger sicher?
Für uns ist das Unterzeichnen eines Appells der erste Schritt – niederschwellig, zugegeben. Wir laden aber die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner immer weiter zur Beteiligung ein. Zum einen bitten wir sie oft, sich an Mitmachaktionen in den sozialen Medien zu beteiligen und etwas zu posten oder zu teilen. Sie werden gebeten, an Großdemonstrationen zu „ihrem” Thema teilzunehmen. Und schließlich lassen sich viele motivieren, in ihrer Heimatregion selbst eine kleine Protestaktion zu organisieren und sich dabei mit anderen Campact-Sympathisant/innen zu vernetzen. So kam es etwa im Herbst 2017 zu 100 Demonstrationen vor CDU- und CSU-Büros in ganz Deutschland, weil der damalige Agrarminister Schmidt von der CSU sich in der EU für die weitere Zulassung des Pestizids Glyphosat ausgesprochen hatte.
Wie stellen Sie sicher, dass die Bürger wirklich umfassend informiert sind, wenn Sie bei Ihnen per Klick unterschreiben?
Unsere Mailings sind immer nach Leselust gestaltet. Man kann sich kurz und knapp informieren, aber wir bieten immer Links zu weiterführenden Informationen an, und die Unterzeichner/innen erhalten Berichte, wie es mit dem Thema weitergeht. Wir kommunizieren übrigens nicht nur Erfolge, sondern auch wenn ein politisches Ziel (noch) nicht erreicht wurde. Dadurch fühlen sich die Mitmachenden wertgeschätzt. Sie werden ernst genommen.
Das Campact-Team umfasst 70 Festangestellte und finanziert sich und seine Arbeit aus Spenden und Förderbeiträgen. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis beim Fundraising?
Unsere Unterstützerinnen und Unterstützer wissen immer ganz genau, wofür ihr Geld verwendet wird, weil wir es in den entsprechenden Mailings so konkret wie möglich beschreiben. Da kann es darum gehen, Großmasken von Politikern für eine Demonstration in Brüssel oder Berlin zu finanzieren, eine Studie zum Thema Hate Speech zu bezahlen oder auch durch die Bezahlung einer Anwaltskanzlei, um auf die Herausgabe von Glyphosat-Dokumenten zu klagen.
Welches sind die größten Herausforderungen für Ihr Fundraising?
Wir sind sehr froh, dass wir fast ausschließlich von privaten Spenden getragen werden, in einer Durchschnittshöhe von ca. 20 Euro. Wir nehmen keinerlei Gelder von Institutionen oder aus der Wirtschaft und können nur so unsere absolute Unabhängigkeit gewährleisten. Aber das heißt natürlich auch, dass wir mit den aktuellen Themen immer wieder neu um Spenderinnen und Spender ringen und dass wir den Förderinnen und Förderern immer wieder klar machen müssen, wie wesentlich ihre regelmäßige Unterstützung ist. In einem Wahljahr wie 2017 und bei zähen Koalitionsverhandlungen 2018, in denen faktisch nichts entschieden wird, ist auch das Fundraising schwieriger.
Worauf können Sie und Ihr Team besonders stolz sein?
Das es uns immer wieder gelingt, zu beweisen, dass ganz normale Bürger/innen weitreichende Veränderungen bewirken können. Dann, wenn sie sich zusammenschließen und die Ausdauer haben, über Monate und Jahre hinweg an einem Thema dran zu bleiben. Dass in Deutschland ein kommerzieller Anbau genetisch veränderter Pflanzen stattfindet und Deutschland in den kommenden Jahren aus der Atomenergienutzung aussteigt, sind nur zwei Beispiele.
Im Mai ist Europawahl. Was braucht es noch, damit echte Bürgerbeteiligung in Europa Realität wird?
Wir konzentrieren uns im Moment darauf, die Menschen zur Teilnahme an der Wahl zu mobilisieren und die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Es gibt in vielen Ländern rechtspopulistische Tendenzen, die demokratische Mitbestimmung und Vielfalt der Gesellschaft gefährden. Wenn wir einen großen Sieg von Nationalisten und Rechtsextremen verhindern wollen, müssen wir deshalb genau hier ansetzen: Möglichst viele Wähler/innen progressiver oder bürgerlicher Parteien zum Gang zu den Wahlurnen zu bewegen. Alle diejenigen, die als stille Mehrheit die Errungenschaften unseres Zusammenlebens in Frieden und Freiheit zu schätzen wissen. Das europäische Versöhnungs- und Einigungsprojekt bietet in Zeiten nationaler Alleingänge die einzigartige Möglichkeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verwirklichen. Auch wenn sie nicht perfekt ist. Daher werden wir in einem großen Bündnis für den 19. Mai Großdemonstrationen in vielen europäischen Städten organisieren.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit der SozialBank beschreiben?
Für uns ist es sehr wichtig, dass wir auch unsere Finanzen über eine Bank abwickeln können, die sich an Nachhaltigkeit und ethischen Werten orientiert. Und die Bank für Sozialwirtschaft hat eine hohe Kompetenz im Bereich der spendengetragenen NGOs, da auch viele andere Organisationen, Verbände, Stiftungen zum Kundenstamm gehören.
© Campact e.V.