In Hamburg gibt es mit über 1.000 Einkommensmillionären die höchste Millionärsdichte in Deutschland. Zugleich gilt die Hansestadt als die Hauptstadt der Wohnungslosigkeit. Der Hamburger Verein StrassenBLUES will obdachlosen Menschen kreative Wege aus der Armut aufzeigen. Das ist ihm nicht nur während der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Kontaktbeschränkungen überzeugend gelungen. Seine Kampagne #LetMeBeSafe wurde 2022 mit dem ersten Preis und 10.000 Euro im Wettbewerb Sozialkampagne der Bank für Sozialwirtschaft ausgezeichnet.
2016
5 Festangestellte und rund 30 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen
2016
Als preisgekrönter Videojournalist und Dokumentarfilmer arbeitete Nikolas Migut über zwei Jahrzehnte für Fernsehen und Web, als er sich entschloss, seine Fähigkeiten auch für etwas Sinnstiftendes einzusetzen. Gemeinsam mit seinem Team gründete er 2016 StrassenBLUES e.V. in Hamburg, um obdachlose Menschen zu unterstützen. Vorsitzender und Gründer
Homepage StrassenBLUESHerr Migut, warum engagieren Sie sich für und mit obdachlosen Menschen?
Weil wir es unerträglich finden, dass im Winter Menschen auf den Straßen unserer Stadt erfrieren – und diese übrigens am Leben auf der Straße auch im Sommer sterben. Weil wir davon überzeugt sind, dass wir die Gesellschaft, in der wir leben, verändern können, wenn wir miteinander reden, unserem Gegenüber zuhören und gemeinsam handeln. In Hamburg fangen wir damit an.
Wie kam es zur Kampagne #LetMeBeSafe?
Während der Corona-Pandemie kamen die Hashtags #staysafe und #stayhome auf. Da haben wir uns gefragt: Was machen eigentlich obdachlose Menschen, die kein Zuhause haben? Unsere Aktion #LetMeBeSafe startete Mitte April 2020 mit dem Ziel, langfristige Lösungen für Obdachlosigkeit während und nach der Corona-Krise zu erarbeiten und gemeinsam weiterzuentwickeln. Dabei haben wir beispielsweise die Bürger*innen aufgerufen, ihre lokalen Politiker*innen der 20 größten deutschen Städte anzuschreiben und nachzuhaken, was dort für obdachlose Menschen getan wurde.
Wie ist es Ihnen gelungen, Obdachlose selbst für das Projekt zu gewinnen?
Wir sind bereits seit 2015 für obdachlose Menschen in Hamburg aktiv und daher gut vernetzt. Obdachloseneinrichtungen kennen uns ebenso wie Menschen, die auf der Straße leben. Dieser Personenkreis wusste also, dass wir ihm durch unsere Foto-Kampagne direkt helfen können, und hat uns gerne mit öffentlichkeitswirksamen Spruchtafeln unterstützt.
Erfolgstreiber Ihres Beitrags ist das Social-Impact-Storytelling. Wie funktioniert das?
Der Ansatz setzt auf gut erzählte Geschichten, ist lösungsorientiert und soll Menschen inspirieren. Dabei arbeiten wir mit Text, Audio, Foto und Video. Für mich ist visuelles Storytelling entscheidend, um Empathie zu wecken. Wenn der Kern unseres Schaffens ein wirkungsvolles Storytelling ist, dann ist das Ziel, dass wir gemeinsam mit denen, die uns folgen und unterstützen, einen positiven Wandel in unserer Gesellschaft anstoßen.
Was hat #LetMeBeSafe konkret bewirkt?
Die Wirkung solcher sozialen Projekte ist ja oft schwer zu messen. Klar können wir sagen, dass wir durch #LetMeBeSafe und das dazugehörige Dachprojekt „Corona-StrassenHILFE“ auf Social Media 1,5 Millionen Menschen erreicht haben. Wir konnten auch viele Spenden generieren, um insgesamt über 100 wohnungslose Menschen in vier Hostels geschützt vor Corona und Kälte unterzubringen. Hingegen sind die Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schwerer zu messen. Durch unsere Kampagne haben wir einen Austausch mit den Sozialsprecher*innen der Parteien in Hamburg, Unternehmen, NGOs, Medien, Wissenschaft und natürlich obdachlosen Menschen geschaffen, denen wir auch oft direkt helfen konnten. Langfristige Lösungen, wie unsere Vorhaben „Homes for Homeless“ und „Working for Impact“ stehen noch am Anfang. Wir haben jedoch in der Vergangenheit bewiesen, dass wir bei solchen Projekten einen langen Atem gepaart mit viel Leidenschaft haben.
Wie läuft die Kampagne „Teilhabe statt Armut“?
Durch das Preisgeld aus dem Wettbewerb konnten wir uns einem neuen Thema widmen: „Teilhabe statt Armut und Ausgrenzung“. Neben den wichtigen Bedürfnissen wie „Wohnen“ und „Arbeiten“ haben obdachlose Menschen weitere Bedarfe. Doch wir als Nicht-Betroffene können kaum entscheiden, ob „kulturelle Teilhabe“ wie z.B. ein gemeinsamer, kostenfreier Kino- oder Museumsbesuch für Menschen auf der Straße wichtig ist. Vielleicht ist ihnen ein eigenes Schließfach wichtiger oder die Möglichkeit, dass ihre Briefpost entgegengenommen wird. Daher haben wir uns wissenschaftlichen Rat eingeholt und sind jetzt dabei, die obdachlosen Menschen in Hamburg selbst nach ihren Bedürfnissen zu fragen. Auch in die Planung und Durchführung des Projekts nehmen wir sie auf, um gemeinsam zu diskutieren und realitätsnahe Lösungen zu schaffen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer neuen Gemeinwohl-Kampagne?
Wir spüren es wohl alle: Der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt, Tag für Tag. Soziale Strukturen, Beziehungen und Werte in unserer Gesellschaft werden instabiler. Das hat verschiedene Gründe: Einkommens- und Vermögensunterschiede, vermehrte Einsamkeit und Isolation und eben auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Ziel unserer langfristigen „Gemeinwohl-Kampagne“ ist es, die Menschen zunächst in Hamburg zu informieren, zu sensibilisieren und zu aktivieren, sodass sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten Verantwortung übernehmen können – unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Milieu. Wir zeigen, dass Gemeinwohl bedeutet, Bedingungen zu schaffen, unter denen alle Mitglieder einer Gesellschaft gedeihen können. Gemeinsam mit anderen Organisationen und Nachbarschaftshilfe-Plattformen möchten wir Präsenz-Events schaffen und mit einer digitalen Kampagne begleiten. So verbinden wir die Menschen aus den 105 Hamburger Stadtvierteln miteinander. Unsere Kernkompetenz Storytelling spielt auch hier eine wesentliche Rolle. Die Gemeinwohl-Kampagne geht weit über die klassische Armutsbekämpfung hinaus. Sie betrifft alle Menschen und sie ist in diesen Zeiten ein Zeichen für mehr sozialen Zusammenhalt.
Was ist Ihnen in Ihrer Zusammenarbeit mit der SozialBank besonders wichtig?
Die SozialBank ist seit unserem Bestehen unser finanzieller Partner. Für mich ist es wichtig, dass wir damit einen verlässlichen Partner haben, der uns bei unseren teilweise sehr ungewöhnlichen Projekten unterstützt.
© StrassenBLUES e.V.