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Pflegebedürftigkeit ist nicht einfach eine Frage des Alters. Sie tritt auch nicht zufällig ein. Das Pflegerisiko hängt vom Geld ab, bringt es eine Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf den Punkt: „Ärmere Personen haben ein höheres Risiko, pflegebedürftig zu werden und sind früher auf Pflege angewiesen als Menschen mit hohen Einkommen.“ Dass Menschen mit höherem Einkommen länger leben, ist wissenschaftlich belegt. Dieses Muster wiederholt sich – Einkommen und Vermögen bestimmen auch die körperliche und geistige Altersqualität.
Studien im In- und Ausland machen den Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Einkommen bzw. dem Vermögen deutlich. „Dahinter steckt unter anderem, dass Menschen mit höherem Einkommen besser gebildet sind, sich zum Teil gesünder ernähren können, weil sie mehr Geld haben und dass sie in Berufen arbeiten, die geringere Belastungen haben“, begründet Peter Haan, Mitautor der Studie. So lag die mittlere Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe 8,6 Jahre unter der von Männern der hohen Einkommensgruppe (2018). Bei Frauen betrug die Differenz 4,4 Jahre.
Bei der Pflege sieht es ähnlich aus: Armutsgefährdete Männer sind knapp sechs Jahre früher auf häusliche Pflege angewiesen als wohlhabende Männer (mehr als 150 Prozent des mittleren Einkommens), ermittelte die DIW-Studie auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Armutsgefährdung bedeutet, vor Renteneintritt weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zu verdienen. Bei mittleren Einkommensgruppen machen die Unterschiede 1,7 bzw. 2,5 Jahre aus, bei Frauen dreieinhalb Jahre.
Auch die berufliche Position und die Belastungen im Berufsalltag wirken sich auf das Pflegerisiko aus, rechnet die Studie vor. Arbeiter*innen werden im Durchschnitt rund vier Jahre früher pflegebedürftig als Beamt*innen. Die Studie legte den Grad der körperlichen und psychosozialen Arbeitsbelastung zugrunde und bewertet die zuletzt ausgeübte Tätigkeit mit einem Indexwert von eins (geringe Belastungen) bis zehn (hohe Belastungen). Das Ergebnis: Männer und Frauen mit hoher beruflicher Beanspruchung haben durchschnittlich 4,7 beziehungsweise 2,7 weniger Lebensjahre, in denen sie nicht auf Pflege angewiesen sind, als Berufstätige mit niedriger Belastung. „Die Pflegebedürftigkeit wird durch Gesellschaft, Einkommen und Arbeitswelt beeinflusst“, fasst die DIW-Studie zusammen.
Das höhere Pflegerisiko sozial Schwacher verstärkt die soziale Ungleichheit. Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Pflegekosten ab: Bei stationärer, teilstationärer und ambulanter Pflege können daher erhebliche private Kosten anfallen, die zu Lasten des ohnehin geringeren Einkommens gehen. Eine Alternative stellt die Angehörigenpflege dar. Wenn dafür die Erwerbsarbeit reduziert werden muss, kommt zur zeitlichen und emotionalen Belastung auch der finanzielle Ausfall hinzu.
Ungleichheit stellt sich nicht nur in Einkommen und Vermögen dar, sondern auch in Lebenserwartung und Pflegewahrscheinlichkeit, besagt die Analyse. „Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, brauchen wir sozialpolitische Maßnahmen, die das ausgleichen“, fordert Mitautor Haan:
Alternativ dazu könnten private Zuzahlungen stärker vom Haushaltseinkommen abhängig gemacht werden, um ärmeren Haushalten einen Ausgleich zu ermöglichen, schlägt das DIW vor. Angesichts des begrenzten finanziellen Spielraums in der Pflegeversicherung bringen die Wirtschaftsforscher auch den Umbau des Versicherungssystems ins Gespräch. „Eine Möglichkeit, hier eine gerechtere Lösung zu finden, ist, über eine Bürgerversicherung nachzudenken, in der die private und die gesetzliche Versicherung zusammengebracht werden.“
Johannes Geyer / Peter Haan / Hannes Kröger / Maximillian Schaller, Pflegebedürftigkeit hängt von der sozialen Stellung ab. Dazu Interview mit Peter Haan, DIW-Wochenbericht, 44/2021, Seiten 728-735
www.diw.de/de/diw_01.c.827697.de/publikationen/wochenberichte/2021_44/heft.html
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