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Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sollen die Behandlung von Erkrankungen ergänzen, Wissen vermitteln und Übungen anleiten. Die kleinen Therapeuten sind neu im Leistungskatalog der Gesetzlichen Kassenkassen und dazu bestimmt, das Management von Krankheiten patientenorientierter zu gestalten. Im DiGA-Report 2022 zieht die Techniker Krankenkasse (TK) zusammen mit der Universität Bielefeld ein erstes Resümee zu Verbreitung, Nutzen und Kosten der mobilen Medizinprodukte.
Wer im Apple Store oder im Google Play Store stöbert, findet ein Riesenangebot an Gesundheits-, Fitness- und Präventions-Apps. Sie sind ohne Rezept erhältlich und müssen ihre Wirksamkeit nicht belegen. Ganz anders bei den DiGA: Die Apps werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft und zugelassen. Ärztinnen und Ärzte können sie seit Herbst 2020 verschreiben, die gesetzlichen Kassen tragen vorläufig für ein Jahr die Kosten. In dieser Zeitspanne müssen die Hersteller den positiven Versorgungseffekt nachweisen. Nur Apps, die diese Probezeit überstehen, wandern ins DiGA-Verzeichnis. Dort werden sie mit Indikation, Gebrauchsanweisung und Info-Website übersichtlich präsentiert. Derzeit (April 2022) sind 30 Apps gelistet. Nutzer*innen finden etwa die App „Mindable“ gegen Panikstörungen und Agoraphobie, „Nichtraucherhelden“ zur Nikotinentwöhnung oder „Elevida“ bei Multipler Sklerose.
Die TK hat von Oktober 2020 bis Ende Dezember 2021 rund 19.000 Freischalt-Codes für Digitale Gesundheitsanwendungen ausgestellt – 85 Prozent auf ärztliches Rezept und 15 Prozent auf Antrag von Versicherten. Top 3 der meistgenutzten DiGA sind gegen Rückenschmerzen (3.947), Tinnitus (3.450) und Migräne (2.524). Für psychische Erkrankungen gibt es mit elf Apps die meisten DiGA.
Zwei Drittel (66,5 %) der digitalen Gesundheitshelfer werden von Frauen genutzt. Bei der Altersverteilung gibt es auffallend weniger Verschreibungen bei den unter 30-Jährigen und den über 60-Jährigen. Der höchste Anteil liegt bei der Altersgruppe der 50-59-Jährigen (27 %). Das Durchschnittsalter aller Nutzer*innen beträgt 45,5 Jahre.
84 Prozent geben in einer TK-Befragung an, dass sie die App mindestens einmal pro Woche nutzen. Zehn Prozent tun das mindestens einmal im Monat. Sechs Prozent nutzen die App überhaupt nicht.
Eine Befragung von 244 Versicherten der TK zur Zufriedenheit mit ihrer App ergibt ein durchwachsenes Bild. 19 Prozent der Befragten sind vollständig von der Wirksamkeit überzeugt, immerhin 43 Prozent tendieren zu dieser Sichtweise. Ein Drittel (34 %) hingegen verneint einen Nutzen. Die Unzufriedenen begründeten ihre Haltung mit fehlendem Nutzen, mangelnder Ausrichtung auf die persönlichen Gesundheitsprobleme und schlechter Bedienbarkeit. Elf Prozent der Befragten wollen künftig keine DiGA mehr verwenden.
DiGA sind in der Arztpraxis „noch nicht angekommen“, heisst es bei der TK. Von bundesweit 180.000 ambulanten Ärzt*innen und Psychotherpeut*innen wurden sie erst von vier Prozent (ca. 7.000) verschrieben. „Auffällig ist, dass in Berlin – wo auch die meisten DiGA-Hersteller sitzen – die Verordnungsquote am höchsten ist.“
„Insbesondere bei der Preisbildung im ersten Jahr werden DiGA-Herstellern umfassende Freiheiten eingeräumt – ein Punkt, der auf anhaltende Kritik von Kostenträgerseite stößt“, konstatiert die Studie. Lagen die Durchschnittspreise pro DiGA-Verordnung bei der TK im Oktober 2020 bei 329 Euro, betragen sie aktuell (März 2022) rund 456 Euro. Bisweilen kosteten Apps mehr als analoge Arztbehandlungen, obwohl der Nutzennachweis für das erste Jahr noch ausstehe, kritisierte die Kasse. So koste eine analoge Gruppentherapie für Schlafstörungen mit 300 Minuten 178 Euro, der von DiGA-Herstellern festgesetzte Preis liege hingegen bei 464 Euro.
Zentraler Diskussionspunkt ist die Wirksamkeit der Digitalprogramme. Genau hier hapert es noch gewaltig, während die Kosten steigen. Von 28 Apps auf Rezept konnten nur sieben bereits zum Start der Kostenerstattung ihre Wirksamkeit nachweisen. Auf die übrigen 21 Apps, die das noch nicht konnten, entfielen laut TK-Report 78 Prozent aller Verordnungen mit Kosten von 4,2 Millionen Euro.
TK-Chef Jens Baas sieht kritisch, dass die Apps bereits vorläufig zugelassen werden und die Hersteller ein Jahr Zeit haben, deren wirklichen Nutzen zu beweisen. „Es besteht die Gefahr, dass viele Apps den Vertrauensvorschuss nicht einhalten können, den sie im Erprobungsjahr bekommen.“ So konnte sich die Migräne-App „M-Sense“ im Probejahr nicht als DiGA bewähren, dennoch wurden die Gesamtkosten von mehr als einer Million Euro 15 Monate lang von den gesetzlichen Krankenkassen getragen.
Für die TK-Verantwortlichen steht die Einführung der DiGA als Regelleistung der GesetzlichenKrankenversicherung „exemplarisch für die in der vergangenen Legislaturperiode entfachte Digitalisierungsdynamik im deutschen Gesundheitswesen.“ Sie böten große Chancen für die Gesundheitsversorgung, allerdings müsse das Bewertungs- und Zulassungssystem im Sinne einer besseren Nutzen- und Kostenbilanz überprüft werden.
DiGA-Report 2022. Hg.: Techniker Krankenkasse Universität Bielefeld,
März 2022, 127 Seiten, Download
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