Projekt 3

Als gemeinnützige GmbH unterstützt Projekt 3 seit 1993 Senioren, Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und Suchtkranke in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

SozialBank
Kurz und komplett
Über die Organisation

Projekt 3 ist eine gemeinnützige GmbH im Bereich der sozialen Dienstleistungen. Sie widmet sich seit 1993 Menschen im Alter, mit geistiger Beeinträchtigung und mit Suchterkrankung. Projekt 3 ist mit 20 Einrichtungen, Diensten und Angeboten in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt vertreten. Über 500 Mitarbeitende sind an insgesamt 10 Standorten tätig und begleiten mehr als 1000 Bewohner, Kunden und Gäste.

Gründungsjahr

1993

Mitarbeitende

über 500

Kunde der SozialBank seit

2015

Herr Berens, wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage der Pflegebranche? Sehen Sie eine Insolvenzwelle auf die Branche zurollen?

Die erste Frage kann ich natürlich nur für unser Unternehmen beantworten, die Antwort wird aber auf sehr viele Unternehmen zutreffen: kritisch!

Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Teil sicher hausgemacht, zum Großteil jedoch durch Fehlentwicklungen und offensichtliche Ignoranz der politisch Verantwortlichen hervorgerufen. Wie kann es sein, dass Träger verpflichtet werden, Tariflöhne, oder wie in unserem Fall „tarifangelehnte“ Gehälter, zu zahlen, gleichzeitig sich die Pflegekassen aber in Zurückhaltung üben, wenn es um die Vereinbarung von angemessenen Pflegesätzen geht? So kann es niemanden wundern, dass viele Träger in Liquiditätsengpässe kommen, weil sie monatelang auf eine angemessene Vergütung warten und diese dann oft nur prospektiv, nicht rückwirkend, vereinbart wird. Gerade freigemeinnützige Träger, wie auch wir einer sind, konnten eben nicht in den vergangenen Jahren finanzielle Polster anlegen, da das Gemeinnützigkeitsrecht dies verbietet. Sie sind jetzt massiv von den Liquiditätsproblemen betroffen. Aktuell wird die Thematik durch die abnehmende Zahlungsmoral der Kostenträger noch verstärkt.

Die Frage nach einer Insolvenzwelle ist schwierig zu beantworten. Bereits jetzt sind viele große und kleine Träger und Einrichtungen betroffen. Wöchentlich kommen neue dazu und ich fürchte, das wird so bleiben oder sich gar verstärken, wenn nicht bald seitens der Politik eingegriffen wird. Leider habe ich den Eindruck, dass die Bereitschaft dazu sehr gering ist: Geld ist überall Mangelware und es gerade in die Pflege zu stecken scheint wenig populär zu sein.

Das Fatale: Die Insolvenz von Einrichtungen ist nicht nur ein unternehmensbezogenes Problem. Es brechen Versorgungsstrukturen weg. Ohne sie wird eine wohnortnahe, stationäre Versorgung schwierig und auch die ambulante Versorgung immer problematischer. So wird Pflege wieder mehr in den familiären Bereich zurückgedrängt, was erhebliche gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Probleme mit sich bringt. Für die zu pflegenden Menschen mag dies in manchen Fällen durchaus positiv zu bewerten sein, und auch die Pflegekassen sparen viel Geld. Allerdings überwiegen die negativen Auswirkungen durch das häufige Fehlen familiärer Strukturen und den Ausfall von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen aus meiner Sicht deutlich.

Wie sehen Sie den Reformbedarf der Pflege? Was sollte geändert werden?

Ich glaube, dass man hier verschiedene Bereiche klar unterscheiden muss. Da sind einmal die Rahmenbedingungen, die die tägliche Arbeit in den Einrichtungen betreffen. Es fängt an bei dem vielzitierten Bürokratismus. Selbst das hochgelobte „SIS“-Modell („Strukturierte Informationssammlung“) in der Pflegeplanung und -dokumentation ist aus unserer Erfahrung schon an seine Grenzen gestoßen. Immer neue Standards, Statistiken, Dokumentationspflichten und Meldungen machen jeglichen Zeitgewinn zunichte. Dass die eingesparte Zeit den Bewohner*innen zugutekommen und unseren Kolleg*innen die Möglichkeit zu einer guten und personenzentrierten Pflege bieten sollte, scheint vergessen.

Genauso ist es mit der Fachkraftquote. Was hilft es, auf einer aus der Luft gegriffenen Quote von 50 % Fachkräften zu bestehen, (was trotz aller „Reformen“ und Lippenbekenntnisse oft noch geschieht), wenn wir genau wissen: Diese Fachkräfte gibt es in der erforderlichen Anzahl überhaupt nicht mehr? Das neue Personalbemessungsinstrument ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings sehe ich auch hier Grenzen, weil es die jeweiligen Qualifikationen in der notwendigen Anzahl bisher nicht gibt und sie aus meiner Sicht auch nur schwer zu erreichen sind. Dazu kommt, dass das Modellprojekt, das vorher zur Evaluation durchgeführt werden sollte, erst nach Wirksamwerden des Gesetzes begonnen hat. Verlässliche Rahmenbedingungen für die Einrichtungen sehen anders aus, zumal jedes Bundesland versucht, durch Rahmenverordnungen individuell mit dem Thema umzugehen, und zwar fast überall anders.

Weiter geht es mit dem Thema Finanzierung, das nicht nur die angemessene Refinanzierung der Personalkosten umfasst. Selbstverständlich ist eine gute und angemessene Bezahlung in der Pflege unumgänglich, sie wird uns aber – gerade als freigemeinnütziges Unternehmen ohne Tarifbindung – sehr schwer gemacht. Wie bereits angesprochen, ist die Bereitschaft zur angemessenen Refinanzierung sehr gering. Hinzu kommt, dass wir uns bei der Tarifanlehnung immer an den Durchschnittswerten orientieren müssen, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung schon längst überholt sind. Dadurch hängen wir bei den Gehältern, die wir zahlen können, immer hinterher, Außerdem werden bei den Durchschnittslöhnen nur die Bereiche Pflege und Betreuung berücksichtigt. Bessere Gehälter in anderen Bereichen wie Küche/Hauswirtschaft, Verwaltung oder Technik werden uns oft als „nicht marktgerecht“ abgelehnt. Die tarifgebundenen Einrichtungen können und müssen entsprechend vergüten und bestimmen dadurch den Markt; wenn wir Gleiches tun wollen, ist dies „nicht marktgerecht“. Das verstehe, wer will!

In direktem Zusammenhang mit dem Verhandlungsgeschehen bei den Tariflöhnen stehen die Verhandlungen der Sachkosten. Sprunghafte Veränderungen durch Inflation, Krieg oder gesetzliche Auflagen werden nicht berücksichtigt, für die Zukunft aber zum Teil ebensowenig anerkannt Jedem ist klar, dass das nicht funktionieren kann. Ganz schwierig wird es bei Themen wie Risikozuschlag oder Gewinnzuschlag: So etwas „brauchen wir nicht“ und „mit Pflege darf man kein Geld verdienen“ hören wir dann oft. Dabei ist genau das im SGB vorgesehen und auch schon höchstrichterlich positiv entschieden worden, die einzelne Pflegekasse interessiert das jedoch anscheinend nicht. Oft wird auch die Belegungsquote angeführt. Diese liegt derzeit in den Verhandlungen meist um die 95 %, realistisch sind derzeit aber eher 90 % oder sogar weniger. Sicher kann man das Thema Gewinnerzielung kritisch hinterfragen. Allerdings müssen auch wir als gemeinnütziges Unternehmen Gewinne erwirtschaften, damit wir existieren und investieren können. Genau das ist nämlich der Unterschied: Wir investieren wieder in unser Unternehmen und schütten nicht an Aktionäre oder Kapitalfonds aus!

Zuletzt nun noch zu einem aktuellen und immer wichtiger werdenden Thema: Digitalisierung. Oft bemüht, verklärt und gefordert. Allein: Der Wille, tatsächliche Bemühungen in diese Richtung zu unterstützen, scheint wenig ausgeprägt. Nicht nur, dass Bürokratismus und gesetzliche Regelungen, die nicht richtig in die Gänge kommen, uns da ausbremsen. Es fehlen meist auch schlicht die Mittel, um solche Projekte zu finanzieren. Wir werden regelmäßig auf Förderprogramme verwiesen, wo der Zugang schwer bis unmöglich ist und die Fördersummen viel zu gering sind. Ansonsten heißt es, „das ist im Pflegesatz nicht vorgesehen“. Innovationen betreffen immer die Zukunft, wir sollen sie aber vergangenheitsbezogen finanzieren. Wie soll das wohl funktionieren? Ganz aktuell passt das Scheitern der Verhandlungen zur Telematik-Infrastruktur ins Bild. Kein Träger kann und wird in diesem Bereich investieren, solange die Refinanzierung nicht gesichert ist.

Wie gehen Sie in Ihren Einrichtungen mit dem Personalmangel um?

Ich finde das Wort „Personalmangel“ schwierig. Ja, auch bei uns gibt es mal zu wenig Personal, insbesondere natürlich bei Krankheitswellen, oder wenn wir – aus den unterschiedlichsten Gründen – eine Stelle einmal nicht besetzen können. Grundsätzlich würden wir uns wünschen, mit dem Thema flexibler und kreativ umgehen zu können. So können wir uns z.B. durchaus einmal behelfen, indem wir Personal aus anderen Einrichtungen einsetzen. Natürlich müssen wir das kostenmäßig verrechnen, aber hier wäre das Thema „Springerpool“ eine Hilfe – die Umsetzung des Gesetzes scheitert bisher aber regelmäßig, weil die Rahmenverordnungen fehlen und Pflegekassen zu individuellen Vereinbarungen nicht bereit sind.

Auch kompensieren wir schon einmal fehlende Fachkräfte durch den verstärkten Einsatz von Hilfskräften, aber auch das ist rechtlich schwierig zu gestalten, obwohl das Personalbemessungsinstrument grundsätzlich in genau diese Richtung zielt. Insgesamt wünschen wir uns in diesem Bereich deutlich mehr Flexibilität.

Leider haben wir in der Pflege eine extreme Misstrauenskultur entwickelt und versuchen durch Quoten, Standards, Kontrollen und Anweisungen die Qualität zu sichern. Das ist aus unserer Sicht der vollkommen falsche Weg und hält uns im „Status quo“ gefangen – hier müssen wir raus!

 

© Projekt 3 gGmbH

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