Suche
Die Sozialwirtschaft liegt in der Digitalisierung erheblich hinter anderen Branchen zurück, hat aber den Weckruf der Corona-Pandemie gehört, ergibt ein aktueller Report der Bank für Sozialwirtschaft.* Welche Probleme brennen den Unternehmen auf den Nägeln, wie können sie an digitale Erfolgsmodelle anknüpfen? Die Trendinfo-Redaktion traf eine Gesprächspartnerin, die sich in beiden Welten auskennt: Cornelia Röper (30), Geschäftsführerin der mitunsleben GmbH in Berlin. Das Start-up wurde 2018 von Trägern und Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege gegründet und entwickelt digitale Lösungen für die Sozialwirtschaft.
Cornelia Röper: Ich glaube, das Thema Digitalisierung kann man sich am besten als Pyramide vorstellen. Basis ist die unternehmensinterne Datenverarbeitung – sie steht für alles, was irgendwie mit dem Computer zu tun hat. Darauf bauen interne Prozesse und dann die Kundenkommunikation auf, meist mit Websites und Apps.
Die Mehrzahl der Sozialunternehmen hat sich die letzten Jahre mit der ersten und zweiten Ebene beschäftigt, aber noch nicht mit der Digitalisierung Richtung Außenwelt. In dieser dritten Ebene finden wir Tools und Services für die Interaktion mit Kunden, Zahlungsanbietern, Bewohnern und vieles mehr. Und die Spitze krönen Plattformen und eigene digitale Geschäftsmodelle. Hier gilt es für die Branche einiges aufzuholen.
Um den Herausforderungen der Zukunft – demographischer Wandel, steigender Pflegebedarf, Fachkräftemangel – zu begegnen, braucht es eine Offenheit und den Willen, digitale Lösungen zu entwickeln. In der Pflegebranche können digitale Lösungen wichtige Impulse liefern, Prozesse vereinfachen und Pflegekräfte sowie pflegende Angehörige entlasten, um mehr Zeit für die tatsächliche Pflege zu haben. Die Ideen reichen von Plattformlösungen über digitale Assistenzsysteme bis hin zu KI und Robotik.
Die Welt um uns herum bleibt nicht stehen. Die großen Vergleichs- und Vermittlungsportale anderer Branchen setzen Standards für Transparenz und Nutzerfreundlichkeit – das baut Erwartungen an die Sozialwirtschaft auf. Auch die ältere Generation nutzt das iPad. Deren Kinder suchen im Internet nach Pflegeanbietern für ihre Eltern und vergleichen Leistungen, oft aus der Ferne. Digitalisierung ist eine Investition in die Zukunft. Wenn das die Branche nicht selbst angeht, wird es nicht lange dauern, bis ein branchenfremdes Unternehmen oder ein Akteur jenseits des großen Teichs hier neue Spielregeln vorgibt. Wenn der Auftrag an die Sozialwirtschaft lautet, in allen Lebensräumen für ihre Hilfebedürftigen da zu sein, sollte das auch die Online-Präsenz einschließen.
Es ist heute wesentlich leichter, über eine Internet-Plattform ein Hotel zu buchen als einen Pflegedienst oder Rollstuhl. Das möchte mitpflegeleben.de ändern, indem es Nutzern einen niedrigschwelligen Zugang zur großen Welt der sozialen und pflegerischen Angebote verschafft. Das Portal bietet die weltweit erste mit künstlicher Intelligenz gesteuerte Pflegeberatung, ermöglicht die Vergleichbarkeit von Leistungen und das alles kostenlos. Anbieter sind so für ihre Klientel leicht auffindbar und können das eigene Empfangsmanagement professionalisieren. Ein Premiumangebot liefert darüber hinaus präzise Marktanalysen.
Mit der Frage nach dem Warum – warum wollen wir etwas digitalisieren? Was genau möchte das Unternehmen verbessern? Auf Konferenzen habe ich oft gehört, dass es den allermeisten in der Branche nach wie vor um die Hilfe am Menschen geht. Wenn man diese verbessern kann, ist auch der älteste Mitarbeiter bereit, sich mit neuen Tools auseinanderzusetzen. Der nächste Schritt wäre zu gucken, wie man die geplante Innovation am besten angehen kann, wer vielleicht schon Vorkenntnisse hat und aus wessen Fehlern und Erfahrungen man lernen kann. Dies beugt dem häufigen Anfängerfehler vor, sich unpassende Digitalisierungsmaßnahmen ins Haus zu holen.
Ein Negativbeispiel zu nennen wäre fies. Aber ich denke, die meisten kennen das ein oder andere gescheiterte Digitalprojekt. Dazu fallen mir die Worte eines Heimbetreibers ein, der meinte, eine Digitalisierung nur um ihrer selbst Willen oder damit der Vorstand sich mit einem SAP-Projekt schmücken kann, mache er nicht mit. Digitalisierung muss die Arbeit erleichtern und Teilhabe verbessern, damit sie sich im Pflegealltag durchsetzt.
Im Verband für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft (d. Red.: Vediso e.V., siehe unten) sprechen wir von drei Bereichen, die man sich genauer ansehen sollte: Erstens, was ist das richtige Toolkit? Welche Softwarelösungen gibt es und was passt tatsächlich? Zweitens, haben wir im Unternehmen das richtige Skillset? Dieses klärt, was ein Mitarbeiter können muss, um mit den neuen Möglichkeiten umgehen zu können. Und schließlich drittens: Haben wir das richtige Mindset? Damit ist die Einstellung innerhalb des Unternehmens zu digitalen Innovationen gemeint, einschließlich einer offenen Fehlerkultur, um Dinge auch mal ausprobieren zu können.
Kooperation ist tatsächlich superwichtig, vor allem für kleinere Unternehmen. Leider erfinden wir hierzulande gerne das Rad neu, jeder für sich. Dabei ist das benötigte Wissen meistens schon da und muss nur angepasst werden. Erste gute Empfehlungen und Praxistipps gibt es oft schon bei Kollegen, anderen Unternehmen, mit denen man zu tun hat, und natürlich bei Branchenverbänden. Bei Vediso zum Beispiel arbeiten qualifizierte Leute aus unterschiedlichen Bereichen der Branche zusammen. Bei regelmäßig einberufenen Peer-to-Peer-Calls werden Lösungsvorschläge für digitale Alltagsprobleme ausgetauscht – aus der Praxis für die Praxis.
Ja klar! Das merken wir jeden Tag. Aber wir lernen voneinander. Ich durfte einige Vorstände in der Sozialwirtschaft kennenlernen, die Lob und Mitarbeitermotivation auf einer familiären Ebene mehr als verstanden haben. Davon können viele Start-ups noch einiges lernen. Und umgekehrt: Start-ups verstehen sich auf unkonventionelle Lösungen, da können sich die anderen eine Scheibe abschneiden. Anders kann es doch gar nicht funktionieren: Jede Seite bringt ihre Stärken ein, alle gewinnen miteinander.
* Erfolgsfaktor Digitalisierung – Auf dem Weg zur Sozialwirtschaft 4.0
Herausgeber: Bank für Sozialwirtschaft (BFS), Oktober 2020, 52 Seiten, Download
siehe hierzu auch Interview mit Markus Sobottke, „Großer Nachholbedarf, viele Gestaltungsmöglichkeiten“, in: BFS-Trendinfo 11/20
Cornelia Röper
wurde 2018 wurde als erste Deutsche von der Bill und Melinda Gates Foundation für die von ihr gegründete Internet-Plattform für Geflüchtete Wefugees mit dem Changemaker Award ausgezeichnet und in die Forbesliste der „30 unter 30 in Europa“aufgenommen. Sie gehört dem Vorstand des Verbandes für Digitalisierung in der Sozialwirtschaft e.V. (Vediso) an.
Über die mitunsleben GmbH
Hinter dem Start-up mitunsleben GmbH stehen 19 etablierte Gesellschafter aus der Pflege- und Sozialwirtschaft, darunter Bank für Sozialwirtschaft AG, Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V., Stiftung Liebenau, Johannes-Diakonie Mosbach und Samariterstiftung. Das Unternehmen entwickelte die Pflegevermittlungsplattformen www.mitpflegeleben.de und www.pflegesterne.de.
Gesundheit
Gute Vorsätze für 2021: Mit der Fünf-Punkte-Formel werden sie wahr
Digitalisierung
Start-up trifft Traditionsunternehmen – zwei Welten, ein Miteinander
Arbeitswelt
BKK-Gesundheitsreport 2020: Gesund mobil arbeiten
Digitalisierung
Projekt KommmiT in Stuttgart: Ältere helfen Älteren
Fundraising
Spenden in Coronazeiten: Mehr Geld, aber nicht für alle
Soziales
„Corona-Helden“ drohen Einkommensverluste: Außer Beifall nichts gewesen
Buchempfehlung
Riane Eisler: Die Verkannten Grundlagen der Ökonomie
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail