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Zunehmender Fachkräftemangel, hohe Belastungen in der Arbeitswelt und eine alternde Gesellschaft stärken die Bedeutung einer zukunftsfähigen Rehabilitationsmedizin. Ihr volles Potenzial kann die Branche aber nur dort entfalten, wo gutes Management schon heute eine weitsichtige Leistungs-, Gebäude- und Finanzierungsplanung anstößt. Das ist das Ergebnis des neuen „Branchenfokus – Rehabilitation“ der Bank für Sozialwirtschaft (BFS), basierend auf Kundendaten 2017 bis 2020. Die Studie gibt detaillierte Einsicht in die Reha-Branche hierzulande, analysiert die wirtschaftliche Lage der ambulanten und stationären Anbieter und zeigt handlungsrelevante Szenarien der nahen Zukunft auf. Wohin geht die Reise, möchte die Trendinfo-Redaktion von Jens Dreckmann wissen, Leiter Kompetenzzentrum Gesundheitswirtschaft der BFS Service GmbH.
Jens Dreckmann: Wird auf allgemeine Parameter, wie die Anzahl der Patienten oder Pflegetage abgestellt, zeigt sich zunächst ein relativ konstantes Bild. Es gab jedoch deutliche Verschiebungen innerhalb des Leistungsspektrums. So wurden vor allem im Bereich der Inneren Medizin Angebote abgebaut, wohingegen die Neurologie, Geriatrie und vor allem die Psychosomatik erheblich gewachsen sind. Zugleich hat das Thema ambulante Rehabilitation deutlich an Gewicht bekommen.
Bleiben Anzahl der Patienten und Pflegetage relativ konstant, zeigt sich dennoch, dass die Anzahl der Betten reduziert wurde und vor allem, dass die Anzahl der Einrichtungen um fast zehn Prozent geschrumpft ist. Dahinter steht vor allem ein Konzentrationsprozess hin zu größeren Einheiten.
Des Weiteren scheint die Reha-Branche gesundheitspolitisch etwas mehr in den Fokus gerückt zu sein. So wurde die Reha im Verhältnis zu früheren Zeiten auffallend oft in Gesundheitsreformen adressiert. Und mit der Corona-Krise wurde die Systemrelevanz der Einrichtungen anerkannt, was auch die Ausgleichszahlungen und Rettungsschirme deutlich machen.
Die Rettungsschirme haben unseren Daten nach ganz gut funktioniert. Im Durchschnitt konnten die Reha-Einrichtungen trotz deutlich rückläufiger Umsatzerlöse ihre Ertragskraft gegenüber den Vorjahren weitestgehend stabil halten. Das geschah über Ausgleichszahlungen, ergänzende Maßnahmen wie Kurzarbeit und durch ein gut gesteuertes Ausgabenmanagement –allerdings nicht immer reibungslos.
Die Auswirkungen für 2021 bleiben auf Basis der Jahresabschlüsse noch abzuwarten. Aus der unterjährigen Beobachtung heraus konnten viele Einrichtungen in unserem Bestand in Phasen eines weniger intensiven Pandemiegeschehens schnell ihre Belegung unter Etablierung von angepassten Hygienekonzepten hochfahren. Es mehren sich aber Rückmeldungen, wonach sich die Situation 2021 wesentlich herausfordernder darstellt.
Im operativen Geschäft sehen wir im mittlerweile deutlich spürbaren Fachkräftemangel eine große künftige Herausforderung. Hier gilt es verschiedene Lösungswege zu adressieren: von der kreativen Personalakquise über die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität bis hin zur erfolgreichen Verhandlung mit den Kostenträgern, um ein konkurrenzfähiges Gehaltsniveau zu erreichen.
Auch das Leistungsportfolio sollte regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden: Werden marktgerechte Indikationen im richtigen Setting angeboten? Werden Synergieeffekte zwischen Leistungsbereichen sinnvoll genutzt? Sind standortspezifische Entwicklungen oder die Erschließung weiterer Einzugsgebiete möglich? Gerade bei der letzteren Überlegung sehen wir in einigen Indikationen Verlagerungen aus der Peripherie in urbanere Strukturen.
Diesem Thema kommt große Bedeutung zu. Den Reha-Einrichtungen wird ein nicht unerheblicher Investitionsstau nachgesagt, dem auch wir des Öfteren bei unseren Einrichtungsbesuchen begegnen. Nach Auswertung unserer Daten liegt die durchschnittliche Investitionsquote unserer Stichprobe mit etwa fünf Prozent auf einem durchaus substanzerhaltenden Niveau. Rechnet man die Beträge aber mal auf den Gesamtmarkt hoch, wird der geschätzte Investitionsbedarf nicht ansatzweise erreicht.
Einen Investitionsstau aus dem operativen Cash-Flow heraus zu refinanzieren, ist schwierig – hier droht eine Abwärtsspirale. Letztlich sind viele Einrichtungen auf externes Kapital angewiesen, was zwangsläufig wirtschaftliche Abhängigkeiten und Belastungen nach sich zieht.
Die Immobilie ist der wichtigste Infrastrukturbaustein, wurde aber in der Vergangenheit häufig eher als notwendiges Übel mitverwaltet. In Anbetracht steigender Anforderungen durch Kostenträger und Patienten, explodierender Energiekosten und verschärfter Auflagen bei Energieeffizienz und Klimaschutz (Stichwort ESG-Reporting) ist es jedoch spätestens jetzt an der Zeit, sich intensiv mit der eigenen Immobilieninfrastruktur zu beschäftigen. Ansonsten könnten sich die Einrichtungen schnell in der zuvor beschriebenen Abwärtsspirale wiederfinden.
Dahinter steht letztlich die Frage, wem die Immobilie gehört. Ist sie im Eigentum der Betriebsgesellschaft, gibt es maximalen Handlungsspielraum bei höchster Investitionsverpflichtung und unter Umständen eher geringem Immobilien-Know-how.
Eine Trennung von Besitz- und Betriebsgesellschaft bedeutet hingegen eine Miet- oder Pachtverpflichtung, kann aber im Sinne von externem Kapitel und Sachverstand Vorteile mit sich bringen. Wichtig ist, dass auch in diesem Fall eine gemeinschaftliche Immobilienstrategie entwickelt wird, bei der die Besitzgesellschaft, neben der eigenen Renditeerwartung, die nachhaltige Entwicklung der Betriebsgesellschaft mit im Fokus hat.
Einerseits wird auf Basis weiter sinkender Verweildauern in den Krankenhäusern mit einhergehender Multimorbidität einer alternden Bevölkerung eine qualitativ hochwertige Anschlussversorgung weiter an Bedeutung gewinnen. Andererseits – und diesen Punkt halte ich für wesentlich wichtiger – gilt es im Hinblick auf die demografische Entwicklung und den wirtschaftlichen Druck auf die Sozialversicherungsträger mehr denn je, die elementaren Grundsätze der Rehabilitation intensiv zu verfolgen: nämlich „Reha vor Rente“ und „Reha vor Pflege“. Inwieweit die Realität dieser Theorie folgen wird, müssen wir dann mal abwarten.
Dominik Thomas / Jens Dreckmann / Alina Hurtbrink,
Branchenfokus – Rehabilitation. Marktentwicklungen, wirtschaftliche Situation und Zukunftsperspektiven, BFS Service GmbH, Köln 2022, 74 Seiten
Der Report „Branchenfokus – Rehabilitation. Marktentwicklungen, wirtschaftliche Situation und Zukunftsperspektiven“ ist kostenfrei verfügbar unter:
www.bfs-service.de/de/bfs-service-veroeffentlicht-branchenfokus-rehabilitation.html.
Veranstaltungshinweis:
STRATEGIEIMPULSE MANAGEMENT
Reha-Branche: Mit Branchendaten den Zukunftsmarkt entwickeln
Mittwoch,11.05.2022 | 16.30 – 18.00 Uhr
Weitere Informationen und Anmeldung
Zur Person
Jens Dreckmann studierte an der Hochschule Osnabrück Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen und Gesundheitsmanagement. Er verfügt über langjährige Erfahrungen im operativen und strategischen Management von Gesundheitseinrichtungen bei privaten und freigemeinnützigen Trägern und war zuletzt Kaufmännischer Leiter eines kommunalen Krankenhauses. Seit 2014 leitet er das Kompetenzzentrum Gesundheitswirtschaft bei der BFS Service GmbH, einer Tochter der Bank für Sozialwirtschaft AG. Hier liegen die Schwerpunkte der Tätigkeit in der medizinisch-ökonomischen Bewertung von Geschäftsmodellen, deren Zukunftsfähigkeit sowie der Beurteilung von Refinanzierungsmöglichkeiten von Investitionsvorhaben in der Gesundheitswirtschaft für Banken, Investoren und Betreiber. Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bildet die Aufarbeitung und Gestaltung von Versorgungsstrukturen im ambulanten und stationären Gesundheitsmarkt.
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