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Wie globale Krisen gelöst werden müssen
Econ Verlag, Berlin 2022, 448 Seiten, 22,99 Euro
Mit „feministischer Außenpolitik“ will Kristina Lunz die Kriege dieser Welt beenden. Die Politologin hat 2018 in Berlin das „Centre for Feminist Foreign Policy“ (CFFP), das Zentrum für feministische Außenpolitik, mitgegründet – eine gemeinnützige Forschungs- und Beratungsorganisation, die sich auch für Abrüstung oder das Ende nuklearer Teilhabe einsetzt. Die Aktivistin, die schon Ex-Außenminister Heiko Maas beraten hat, ist überzeugt: „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ – und so heißt auch ihr erstes Buch. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Kristina Lunz per Zoom über den sperrigen Begriff „feministische Außenpolitik“ gesprochen und darüber, weshalb militärische Stärke, Macht und Sicherheit neu gedacht werden müssen.
Kristina Lunz ist überzeugt: Der feministischen Außenpolitik gehört die Zukunft. Die Politikwissenschaftlerin kämpft keineswegs dafür, Kriege gleichberechtigter zu machen, wie ihr gelegentlich spöttisch unterstellt wird, sondern Konflikte und Kriege für alle Menschen, gleich welchen Geschlechts zu beenden. Kernpunkte der von ihr geforderten „feministischen Außenpolitik“ sind im Grunde urfeministische Anliegen: Abrüstung, ein Ende des Waffenhandels, Stärkung von Frauenrechten, mehr Frauen bei militärischen Missionen – und mehr Frauen in der Diplomatie. Militärische Stärke müsse ihrer Meinung nach neu gedacht werden. Dabei sollte die Sicherheit in Verbindung mit Menschenrechten und dem Völkerrecht eine hohe Priorität haben. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, erlebt Kristina Lunz „Ratlosigkeit, Sorge, Schmerz und Verzweiflung“.
Für die Politologin ist „diese massive, brachial-rohe Gewalt, die wir gerade erleben, auch die Konsequenz eines internationalen Systems“. Dazu gehöre, „dass über so viele Jahre Putin nicht nur hofiert und auf Hochzeiten eingeladen wurde, sondern auch, dass dessen Kriegskasse bis heute täglich mit mehreren hundert Millionen durch Energieimporte gefüllt wird. Hinzu kommt das Erodieren des Völkerrechts und des Multilateralismus, der Forderungen der antifeministischen Bewegung nicht genug Stirn geboten hat.“ Kristina Lunz zweifelt, „ob unsere Köpfe das überhaupt verarbeiten können, was da in der Ukraine passiert. Ein absoluter Wahnsinn.“
Nuklearwaffen sind für die Politologin „der perverseste Ausdruck des Patriarchats“. Putin habe, als im Bundestag beschlossen wurde, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden auszustatten und mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, nur wenige Stunden später mit erhöhten Einsatzbereitschaft der Nuklearwaffen gedroht. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in seiner historischen Rede mit der sogenannten Zeitenwende Deutschland eine andere Sicherheitspolitik verordnet.
Feministische Außenpolitik fordert, wegzugehen vom traditionellen Verständnis von Außen-und Sicherheitspolitik. Inzwischen gibt es weltweit sieben Staaten, die offiziell feministische Außenpolitik verfolgen, darunter Schweden, Frankreich, Mexiko, Luxemburg und Spanien. Feministische Außenpolitik will letztendlich das internationale Machtgefüge ändern, so Kristina Lunz. Und zwar sollen vor allem die Bedürfnisse von Frauen vorrangig behandelt werden. Eine der utopisch klingenden grundlegenden Annahmen: Wenn es in Gesellschaften Gleichberechtigung für alle gibt, käme es zu weniger Konflikten. Für Kristina Lunz ist es eine „starke Botschaft“, wie sie es nennt, dass in Deutschland erstmals mit Annalena Baerbock eine Frau oberste Diplomatin ist – und sich als Bundesaußenministerin ganz klar zu feministischer Außenpolitik bekennt.
Beeindruckt hat Kristina Lunz ihre Rede vor den Vereinten Nationen, bei Pressekonferenzen, bei einem Antrittsbesuch in Ägypten noch vor dem Krieg oder ihre Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz. „Internationale Kolleginnen erzählten, dass Annalena Baerbock in München eine sehr feministische Rede gehalten hat, ohne einmal das Wort Feminismus verwendet zu haben.“ Kristina Lunz weiß, dass die Außenministerin „ihre Reden meist mit menschlichem Empfinden beginnt und beispielsweise auf Lebensrealitäten von Kindern schaut, die in U-Bahnschächten geboren werden“. Und sie gehe ein auf internationale Machtdynamiken wie bei der Rede vor den Vereinten Nationen und mache die Verbindung zwischen Frauenrechten und Rüstungsexporten deutlich. Für die Politikwissenschaftlerin schlägt Annalena Baerbock „einen komplett neuen Ton an, wie ich ihn davor so nicht aus dem Auswärtigen Amt kannte, ich bin sehr glücklich damit“.
Für Kristina Lunz gelingt es nirgendwo, Krisen zu lösen, solange weiterhin Menschenrechte der Frauen verletzt werden. Die Politologin verweist in „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ auch auf die kaum bekannte historische Rolle, die Frauen bei der Geschichte des internationalen Friedens spielten – für sie ein „Mei-lenstein“. 1915 kamen in Den Haag mehr als 1.200 Frauen zusammen, um ein Ende des ersten Weltkrieges und das Frauenwahlrecht zu fordern – und um Krieg generell als völkerrechtswidrig einzustufen. Es dauerte Jahrzehnte, bis ihre Forderungen international umgesetzt wurden, die heute die Basis der feministischen Außenpolitik sind. Erst mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 galt die Anwendung militärischer Gewalt gegen andere Staaten als völkerrechtswidrig. Genauso ein völkerrechtswidriges Verbrechen, nämlich einen grundsätzlich verbotenen Angriffskrieg, hat Russlands Machthaber Putin als Aggressor gegen die Ukraine befohlen.
Die Prämisse heißt für Kristina Lunz, „dass Gewalt im Kleinen mit der Gewalt im Großen zusammenhängt, darum geht es in meinem kompletten Buch“. Putins aggressiver Angriffskrieg gegen die Ukraine ist für die Autorin „irgendwie auch eine Konsequenz aus einem internationalen System, das so aufgebaut wurde, dass so eine derartige Zerstörungswut und Wucht möglich ist“. Im Patriarchat werde jede Form der Meinung unterdrückt, die nicht dem Patriarchat dient. „Das kennen wir bis heute. Frauen wie ich und viele andere bekommen die Gewalt online ab, werden als blöd und naiv beschimpft, weil wir uns anti-patriarchal und feministisch äußern“.
„In patriarchalen Strukturen wurden, wenn wir uns die feministische Bewegung an-schauen, alle deren Forderungen von jeher wahnsinnig bekämpft“, sagt die Autorin. „Seitdem es das Patriarchat gibt, leiden Frauen in Konflikten massiv unter männlicher Gewalt. Unsere Gesellschaft ist gekennzeichnet von männlicher Gewalt und wir erleben eine massive Straflosigkeit für männliche Gewalt.“
Wieso das so ist? Für die „Aktivistin gegen Ungerechtigkeit“, wie sich Kristina Lunz selbst beschreibt, gehört zum Feminismus auch der Zusammenhang zwischen Menschenrechtsverletzungen und Jahrtausende alten patriarchalen Strukturen. Der Mann hat das Sagen in Staat und Familie, und so werden entsprechenden Hierarchien aufrechterhalten. Als „Dorfkind“ habe sie als eine der Besten ihres Abiturjahrgangs in Oxford studieren können und schnell gespürt, wie abschätzig ihr das elitäre Umfeld begegnete: „Was mir fehlte waren soziales Kapital, der richtige Familienhintergrund, Netzwerke und Geld“, erzählt die Autorin. Sie entdeckte damals die feministische Literatur und konnte sich so erstmals auch ihr Unbehagen aus der Kindheit erklären.
„Dieses Erleben von Machtmissbrauch im Kleinen, von Männern mit hoher Reputation in meinem Dorf in der fränkischen Schweiz, das waren alles Männer in Führungspositionen. Der Fahrschulchef, Wirtshausbesitzer, die Sportvorstände genossen Ansehen und gleichzeitig haben einige von denen massiv die Grenzen gegenüber der Mädchen und Frauen überschritten.“ Das sei ihr erstes Erlebnis von Machtmissbrauch gewesen, „auch wenn ich es damals nicht artikulieren konnte“. Gleichzeitig sei sie in einer warmherzigen Arbeiterfamilie aufzuwachsen, „mit dem großartigsten Vater der Welt“. Das habe sie sehr stark geprägt, zu verstehen, „dass das keine Naturgesetze sind, dass Männer nicht von Geburt an gewaltbereit sind und Frauen nicht von Geburt an Opfer sind“.
Kristina Lunz war Beraterin bei den Vereinten Nationen in Myanmar und New York. 2016 gründete sie gemeinsam mit Marissa Conway das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), erst in London und seit 2018 in Berlin. Aufgrund der von ihr initiierten Kampagne „Nein heißt Nein“ wurde 2016 das deutsche Sexualstrafrechts so geändert, dass fehlende Einwilligung zum Kriterium von Vergewaltigung wurde – nicht nur für Lunz ein Meilenstein der Frauenrechtsbewegung. 2019 baute Lunz unter der Schirmherrschaft des früheren Bundesaußenministers Heiko Maas das Frauennetzwerk „Unidas“ zwischen Lateinamerika, der Karibik und Deutschland auf.
Heute setzt sich Kristina Lunz dafür ein, das in der Außenpolitik „stark auf menschliche Sicherheit, auf Menschenrechte, Völkerrecht, Multilateralismus, Zusammenarbeit und Solidarität gesetzt wird. „Eine Außenpolitik, die Komplexitäten versteht“. „Deswegen müssen wir dringend den Zusammenhang zwischen Klima und Sicherheit mitdenken, dass es keine Energieabhängigkeit und damit das Füttern von Kassen autokratischer Staatsoberhäupter geben darf“, sagt Kristina Lunz – und bilanziert: „Auch, wenn es Sinn ergibt, konkret Waffen in der akuten Notsituation zur Unterstützung zu schicken, auf lange Sicht werden mehr Waffen, Militarisierung und Aufrüstung immer wieder zu neuem Krieg, Tod und mehr Konflikten führen.“
Feministische Außenpolitik ist für Kristina Lunz ein präventiver Ansatz, der die grundlegenden Paradigmen wie militärische Stärke, Unterdrückung, Dominanz und Aufrüstung komplett in Frage stellt und zu einem neuen internationalen System hinarbeiten möchte. Das klingt, angesichts des brutalen Kriegs gegen die Ukraine, nach naiver Utopie. Dem uralten Menschheitstraum folgend: Frieden schaffen, ohne Waffen.
„Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ ist seltsam deplatziert und gleichzeitig brandaktuell – und gerade deswegen so lesenswert. Nicht zuletzt, um zu begreifen, dass die Idee von Kriegen, Dominanz und dem Zerstören anderer, im Extremfall durch nukleare Waffen, ein zutiefst patriarchales Konzept ist.
Weiterführende Links:
www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/feministische-aussenpolitik-interview-lunz100.html
www.dw.com/de/feministische-au%C3%9Fenpolitik-wunsch-oder-realit%C3%A4t/a-61041818
Alle abgerufen am 10.3.2022
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Susanne Bauer
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