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Erst klatschen, dann streiten. Vor zwei Jahren ernteten Pflegekräfte Applaus, jetzt wird um die berufsbezogene Impfpflicht gerungen. Damals standen ihre überragenden Leistungen im Mittelpunkt, heute geht die Sorge vor dem Berufsausstieg von Beschäftigten um. Hinter beiden Situationen stehen identische Probleme, belegt eine Erhebung des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) und des Fachverlags Vincentz Network: Schlechte Bezahlung, kaum Zeit für alte Menschen und Beeinträchtigung des Privatlebens machten den eigentlich wunderbaren Pflegeberuf für viele Beschäftigte unattraktiv. Eine Trendwende sei dringend nötig, heißt es.
„Die Ergebnisse der Befragung von Pflegefachpersonen in Pflegeheimen stellen der Gesundheits- und Pflegepolitik der letzten dreieinhalb Jahre kein gutes Zeugnis aus“, fasst Dr. Bernadette Klapper, DBfK-Geschäftsführerin die Stimmung in der stationären Altenpflege zusammen. 40 Prozent der Befragten erwägen demnach, aus dem Beruf auszusteigen, 96 Prozent glaubten nicht mehr, dass die Politik ihre Lage verstanden habe und wirkliche Verbesserungen bringe. „Das mag teilweise ein Pandemie-Effekt sein, aber in dieser Deutlichkeit spiegelt es eine erschreckende Ernüchterung und Enttäuschung wider.“
Für die Studie „Altenpflege im Fokus 2021“ wurden im August und September 2021 insgesamt 1.075 Beschäftigte befragt, davon 686 Fachkräfte der stationären Pflege. Herausgekommen ist ein detailliertes Bild zu den Auswirkungen des Fachkräftemangels und zu den Erwartungen der Pflege an die Politik.
Der Fachkräftemangel hat sich seit 2018 weiter verschärft, so dass einer Mehrheit der Beschäftigten (68 %) eine qualitätvolle Pflege immer schwerer möglich erscheint (2018: 60 %). Als Grund nannten 67 Prozent, zu wenig Zeit für Pflegebedürftige zu haben (2018: 65 %). 73 Prozent (2018: 71 %) meinten, der Personalmangel habe sich in den vergangenen zwei Jahren verschärft, also während der Corona-Pandemie. 56 Prozent sagten, die Fülle neuer Regeln zur Qualitätsprüfung sorge für spürbar mehr Bürokratie.
Die Beschäftigten nehmen ihre Sorgen aus dem Berufsalltag mit nach Hause – mehr als jede(r) Zweite (58 %) verspürt negative Auswirkungen auf das Familien- und Privatleben, ergab die Studie. Insbesondere durch die häufige Begegnung mit Sterben und Tod in der Pandemie haben psychische Belastungen zugenommen.
67 Prozent der Teilnehmenden planen der Studie zufolge eine berufliche Veränderung – per Höherqualifizierung in der Pflege (41 %), Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber in der Pflege (22 %) oder Studium (14 %). Den Pflegeberuf aufgeben und eine andere berufliche Tätigkeit aufnehmen wollen 20 Prozent (weitere 20 % „eher ja“).
„Die Personalsituation wird sich erst verbessern, wenn Pflegekräfte durchgehend deutlich besser bezahlt werden“ – dieser allgemein auf ihre Branche bezogenen Aussage stimmten 78 Prozent der Befragten vollständig oder bedingt zu. Immerhin 37 Prozent gaben eine deutliche Verbesserung ihres eigenen Gehalts an. Das gilt vor allem für Beschäftigte aus der Wohnbereichs- und Pflegedienstleitung, weniger für Pflegefachkräfte. Befragte mittleren Alters zwischen 26 und 55 verbesserten sich mehr, Jüngere und Ältere weniger.
Bei effektiven Ansätzen, Pflegefachpersonen im Beruf zu halten oder neu zu gewinnen, steht nach Einschätzung von 90 Prozent der Befragten die Einstellung von mehr Personal an erster Stelle. Gelinge das nicht, ließen sich die vorhandenen Beschäftigten nicht halten und potenzielle Bewerbe*innen würden abgeschreckt. Es folgt dichtauf eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine gute Ausbildung, die Erweiterung der Kompetenzen und eine bessere Bezahlung. Eher skeptisch beurteilt werden die Chancen der Anwerbung aus dem Ausland.
Klapper forderte bei der öffentlichen Vorstellung der Studie Anfang des Jahres zahlreiche Verbesserungen. Kernpunkte sind mehr Personal, bessere Gehälter und eine Reform der Pflegeversicherung:
Die neue Bundesregierung solle sich intensiv mit der Ausgestaltung des neuen Personalbemessungsverfahrens befassen, forderte die Verbandsvertreterin. Über die Entlastung durch zusätzliche Pflegeassistent*innen dürfe nicht die Aufstockung von Pflegefachstellen vernachlässigt werden. Zur Finanzierung der Pflege müssten auch Leistungen einbezogen werden, die über die einzelnen Pflegemaßnahmen am Pflegebedürftigen hinausgingen und ebenfalls für eine gute pflegerische Versorgung erforderlich seien wie beispielsweise die Steuerung und Koordination von Versorgungsprozessen.
Altenpflege im Fokus 2021. Online-Befragung von Pflegefachpersonen in der stationären Langzeitpflege, Hg.: Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Vincentz Network, Hannover, 41 Seiten
Download
Die Studie kann kostenlos angefordert werden:
Vincentz Network GmbH & Co. KG
presse@vincentz.net
Siehe auch:
Positionspapier des DBfK zur Zukunft der Pflegefinanzierung und Personalausstattung
Gesundheit
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