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Das Pflegefachpersonal arbeitet seit mehr als einem Jahr unter Extrembelastungen. Wie hat das die Motivation der Beschäftigten verändert, welche Folgen kann das für die Gesundheitsversorgung haben? Eine aktuelle Studie der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften wertet die Erfahrungen von bundesweit 4.000 Pflegekräften während der Pandemie aus. Die Trendinfo-Redaktion sprach darüber mit Prof. Uta Gaidys (52), Studienleiterin, gelernte Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin.
Uta Gaidys: Die Versorgungsqualität nimmt ab, weil grundlegende Pflegeleistungen wegfallen. Die Pflegenden priorisieren diese Tätigkeiten nicht mehr, sondern sie müssen sie rationieren, also wegfallen lassen. Gut 70 Prozent der Befragten stellen das fest.
Häufig kam es zu Einschränkungen bei der Mundpflege, Körperpflege und Kommunikation, auch mit den Angehörigen. Unzureichende Mundpflege geht mit dem Risiko einer Pilzinfektion und Lungenentzündung einher, mangelnde Körperpflege leistet Infektionen Vorschub, und fehlende Kommunikation mit Pflegebedürftigen erhöht die Gefahr eines Delirs. Das alles verschlechtert die Versorgungsqualität und steigert das Morbiditätsrisko.
Das hat sich im Verlauf der Pandemie geändert. Während der ersten Welle wurden die stark zunehmende Arbeitsbelastung und das Arbeiten mit Schutzkleidung als zehrend empfunden. In der zweiten Welle war für 69,3 % der Pflegenden der Konflikt zwischen beruflichen Pflichten und der Angst um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen belastend. Diese Befürchtung ließ in der dritten Welle bei den Intensivpflegenden nach, wahrscheinlich wegen des Impfangebots.
Nicht die Pflege geben zu können, die ein hilfsbedürftiger Mensch braucht und die man gerne geben möchte, ist tatsächlich eine große moralische Last. Patienten sterben sehen, permanent zu wenig Zeit haben, nur das Nötigste machen, das fördert den Wunsch des Berufsausstiegs.
In der ersten Welle herrschte noch der Teamgedanke vor, der Stolz, gemeinsam Wichtiges für die Gesellschaft zu leisten. In der zweiten Welle blieb davon nicht mehr viel übrig. Stattdessen sind 17 Prozent der Befragten in ihrem Beruf nicht mehr motiviert. Somit ist jede sechste Pflegekraft stark gefährdet, komplett aus dem Beruf auszusteigen.
Nein, das würde ich auf keinen Fall sagen. In der Forschung sprechen wir von „moral distress“, einer psychischen Notlage aufgrund von dauerhafter Verunmöglichung professioneller und guter Pflege. Vor zehn Jahren gerieten die körperlichen Überlastungen des Bewegungsapparats durch schweres Heben und Tragen in die Diskussion, vor fünf Jahren der Burnout infolge von Arbeitsverdichtung. Die Pandemie rückt die Kluft zwischen dem Anspruch professioneller Pflege und der nüchternen Realität in den Fokus. Dabei tritt der hohe psychische Druck zutage, der aus der Infragestellung der eigenen ethischen Prinzipien im Berufsalltag resultiert.
Nach unseren Erhebungen rangieren Motivation, Anerkennung und Wertschätzung deutlich vor Geld und Sicherheit. Natürlich muss Pflegetätigkeit angemessen honoriert werden. Das Einstiegsgehalt für eine Fachkraft kann sich durchaus sehen lassen, allerdings spiegeln sich höhere Qualifikation und Erfahrung zu wenig in einer besseren Bezahlung. Vor allem müssen besondere Kompetenzen, die dem Pflegebedürftigen direkt zugute kommen, angemessen berücksichtigt werden. Ich denke zum Beispiel an die Fortbildung zum Umgang mit Delirkranken oder ein Pflegestudium, das für die direkte Patientenversorgung qualifiziert. In hochwertiger Pflege kommt so unglaublich viel zur Geltung: Kompetenz, Zuwendung, Berührung. Ein Pflegebedürftiger, dem wir das alles geben können, zeigt das sofort in mehr Beweglichkeit, Zufriedenheit und Lebensfreude. Das ist der Kern unseres Berufes, das müssen wir mehr herausstellen.
Ich habe in den 1990er-Jahren als Krankenschwester, erst in Dresden, dann im Virchow-Klinikum in Berlin auf der Intensivstation gearbeitet. Meine Motivation war immer, Menschen helfen zu wollen, ganz nah am Krankenbett zu sein. Das ist doch das große Pfund, mit dem dieser Beruf wuchern kann: eine Tätigkeit mit Sinn! Daran hat sich nichts geändert.
Ja, das glaube ich. Und zwar nicht nur hinsichtlich des technischen Könnens, ein Beatmungsgerät zu bedienen, sondern auch mit Blick auf die pflegerische Arbeit direkt mit und am Menschen. Das System der Fallpauschalen bildet diesen Aspekt nur unvollständig ab. Es ist doch völlig klar, dass der Armbruch eines 80-Jährigen mit Osteoporose eine andere Pflege verlangt als der Armbruch eines Achtjährigen. Pflegende primär als Kostenfaktor anzusehen, gefährdet unser Gesundheitsversorgungssystem.
Meine Tochter macht eine Ausbildung zur Krankenschwester!
Von mir aus hätte sie auch BWL studieren können (lacht). Aber so, wie sie es anpackt, ist es gut.
Weitere Informationen:
Anke Begerow / Ani Holle / Uta Gaidys, (2021), Erfahrungen von Pflegeauszubildenden und Pflegestudierenden während der COVID-19-Pandemie. Ergebnisses eines qualitativen Surveys. Pädagogik der Gesundheitsberufe. (in peer-review)
Uta Gaidys / Anke Begerow / Maja Riefflin, (2020), „Ständige Angst“ in „lehrreicher Zeit“. Erfahrungen und Wahrnehmungen von Pflegenden in der Coronakrise. COVID-19 und seine Folgen – Gesundheits- und pflegewissenschaftliche Perspektiven. Eine Online Vortrags- und Diskussionsreihe der Universität Bremen in Zusammenarbeit mit dem Zukunftsforum Public Health.
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