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Die kürzlich erschienene Studie „Digital aufs Land – Wie kreative Menschen das Leben in Dörfern und Kleinstädten neu gestalten“ macht vor allem eins: Lust aufs Ausprobieren. Während Städte immer voller und teurer werden und kreative Freiräume verschwinden, entstehen auf dem Land Coworking Spaces, neuartige Unternehmensnetzwerke und Start-ups, digitale Kreativorte und gemeinschaftliche Wohnprojekte. Wichtigste Voraussetzung für ein Gelingen ist allerdings schnelles Internet – und da hapert es bislang gerade auf dem Land.
Die Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung stellt 56 Projekte quer durch die Republik vor. Sie wurden initiiert sowohl von Zugezogenen, als auch von Menschen, die schon lange vor Ort leben oder in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Auch Kommunen engagieren sich zunehmend.
Stehen wir dennoch am Anfang einer neuen Landbewegung? Laut einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom würde jeder fünfte Beschäftigte umziehen, wenn er oder sie weiterhin uneingeschränkt im Homeoffice arbeiten könnte. Am häufigsten würden junge Erwerbstätige zwischen 16 und 34 Jahren gern ihren Wohnort wechseln, wenn sie regelmäßig auch von zu Hause arbeiten können. „Einige Entwicklungen der letzten Jahre – vor allem seit Ausbruch der Coronapandemie – machen eine Trendwende wahrscheinlicher“, schreiben die Autor*innen. Doch noch sind die Projekte zu selten und häufig im Anfangsstadium, um verlässliche Prognosen zu treffen. Fest steht jedoch: Die Initiativen bieten auch für kleine und abgelegene Orte und Gemeinden eine Chance, Einheimische an den Ort zu binden und neue Bewohner*innen anzulocken.
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Da gibt es Coworking Spaces – gemeinschaftliche Arbeitsorte – die von klassischen Digitalarbeitenden über ehrenamtliche Vereinsvorstände, Handwerker*innen bis hin zu Wirtschaftsförderern genutzt werden. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung vom Herbst 2020 listet bundesweit mittlerweile 142 solcher Spaces auf. Hilfe für Interessierte bietet zum Beispiel die Genossenschaft CoWorkLand: Sie berät Gründer*innen von Coworking-Orten abseits der Städte, bietet Vorträge und Kurse an und fördert den Austausch unter ländlichen Coworking Spaces.
Für touristisch attraktive Orte eignet sich das Coworkation-Modell – der Begriff setzt sich aus Coworking und Vacation zusammen, Ferien plus gemeinschaftlicher Arbeitsplatz. Vorreiter ist hier das „Coconat“ (Community and Concentrated Work in Nature) im brandenburgischen Bad Belzig, das 2017 in einem historischen Gutshof eröffnet wurde und auch Übernachtungsmöglichkeiten bietet. Ebenfalls in Brandenburg ist auch ein Workinforest – Arbeiten im Wald – geplant.
Coliving wiederum ist „Coworking für Fortgeschrittene“: Manche Kommunen laden Digitalarbeiter*nnen ein, ihren Arbeits- und Wohnort für eine bestimmte Zeit zusammenzulegen. „Diese Angebote richten sich vor allem an Nutzer, die Abstand und Konzentration in der Natur suchen, aber auf ihren Hauptwohnsitz in der Stadt nicht unbedingt verzichten mögen“, so die AutorInnen. Ein spannendes Projekt ist hier das gerade im Aufbau befindliche KoDorf Wiesenburg in Brandenburg.
Kreativorte gehen noch darüber hinaus: Sie schaffen neben Coworking-Spaces neue Kunst- und Veranstaltungsräume – neue Orte für Kultur, Projekte und Begegnung, vom Repaircafé bis zum Kunstfestival. Eine gute Möglichkeit, vorhandenen Leerstand wiederzubeleben. Als Beispiel nennt die Studie die Genossenschaft „Wir bauen Zukunft“ im mecklenburg-vorpommerschen Zarrentin. Dort gibt es ein Seminar- und Gästehaus, einen Coworking Space, ein auf Nachhaltigkeit spezialisiertes Fablab (fabrication laboratory), eine kleine Tiny-House-Siedlung sowie einen Lernraum für Schulklassen.
Innovative Unternehmen auf dem Land sind bislang eher eine Seltenheit. Es gibt keine Treffpunkte für Menschen, die Zeit und Lust haben, ein Start-up zu gründen, wie es in der Stadt eher möglich ist. Dass es trotzdem funktionieren kann, zeigen Firmengründungen wie die der Brüder Waldeck im nordhessischen Falkenberg: Sie entwickeln Smartphones, die sich leicht reparieren lassen und am Ende der Laufzeit wiederverwertet werden. Beide stammen aus der Region – ein weiteres Plus für die Niederlassung waren die niedrigen Immobilienpreise.
In einem ersten Fazit lässt sich sagen: Coworking Spaces, Kreativorte, gemeinschaftliche Wohnformen und innovative Gründungen können Dörfer und Kleinstädte neu beleben. Sie bringen neue Architekturideen, moderne Arbeitsmodelle und lassen neue Netzwerke und Bündnisse entstehen – ein Benefit für die, die immer schon dort wohnten und für die Zugezogenen.
Bei allem Enthusiasmus darf jedoch nicht vergessen werden, dass neue Projekte nicht immer auf Begeisterung bei den Einheimischen stoßen. „Gerade wenn Projekte nicht von den Menschen vor Ort initiiert werden, sondern von neu Zugezogenen, kann dies auch Misstrauen schüren“, heißt es in der Studie. So sind zum Beispiel nicht alle Einwohner*nnen von Havelsee in Brandenburg vom zunehmenden Zuzug idyllesüchtiger Berliner angetan.
Hinzu kommt eine schlechte digitale Infrastruktur wie beispielsweise in Sachsen-Anhalt oder Niedersachsen. Weitere Schwierigkeiten bei der Gründung neuer Arbeits- und Wohnformen sind die teilweise noch geringe Nachfrage zum Beispiel bei Coworking Spaces, mangelnde Unterstützung durch die Kommune und zögerliche Investoren.
„Je besser der Kontakt zur Kommune, desto eher haben Projekte Erfolg. Die Kommunen müssen dabei nicht unbedingt selbst die Initiative ergreifen. Sie können aber einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass private Initiativen gelingen – und die neuen Orte Teil der lokalen Entwicklung werden“, empfehlen die Autor*innen. Das muss nicht gleich die direkte Finanzierung sein. Manche Gemeindeverwaltungen helfen auch dabei, eine geeignete Immobilie zu finden – zum Beispiel leerstehende Gebäude oder Lagerhallen. Stichwort Finanzierung: Hier sehen die Studienautor*innen noch Potenzial beim Thema Fördermittel – diese müssten entbürokratisiert und einfacher zugänglich gemacht werden.
Susanne Dähner / Lena Reibstein / Manuel Slupina u.a.,
Digital aufs Land – Wie kreative Menschen das Leben in Dörfern und Kleinstädten neu gestalten, Herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung und dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Broschüre, April 2021, 74 Seiten (ISBN: 978-3-946332-62-6)
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