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Von der Familienhilfe über den Rettungsdienst bis zur Schuldnerberatung leistet die Wohlfahrtspflege unverzichtbare Hilfe in gefährdeten Lebenslagen. Während der Pandemie wurde diese Unterstützung geradezu „systemrelevant“. Doch die staatlichen Corona-Hilfsprogramme kommen bei den Organisationen oft nicht an. Warum ist das so? Daten und Hintergründe liefert eine Umfrage im Auftrag der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V. Für 2020 rechnet der Report für die Einrichtungen der Sozialen Arbeit mit mehr als 15 Millionen Euro Defizit durch entgangene Einnahmen und coronabedingte Mehrausgaben.
An der Umfrage vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IAKW) der Goethe Universität Frankfurt beteiligten sich 205 von 603 Organisationen der Sozialen Arbeit In Hessen. Sie fand im Dezember 2020 und Januar 2021 statt und wirft exemplarische Schlaglichter auf die pandemiebedingten Finanzprobleme einer ganzen Branche. Gut die Hälfte der teilnehmenden Einrichtungen fielen auf die Bereiche Altenhilfe, Pflege und Gesundheit (51,5 %), gefolgt von der Kinder- und Jugendhilfe (33,8 %) und Unterstützung in sozialen Notlagen (25 %).
Demnach litten knapp 86 Prozent der befragten Einrichtungen unter einem Nachfragerückgang, etwa bei hauswirtschaftlichen Leistungen, Essenslieferungen an Kindertagesstätten und ambulanten Erziehungshilfen. Hygieneschutzkonzepte sorgten im stationären Bereich für Minderbelegung (z. B. in der Altenhilfe, für Menschen mit Behinderung, Wohnungslose), in anderen Bereichen zur Schließung (z.B. Sozialkaufhäuser, Cafeterien). Hinzu kamen weniger Mitarbeit von Freiwilligen und der Ausfall von Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Teilnehmergebühren (z. B. für Bildungsangebote, Elterngebühren). Bei der Hälfte der Organisationen verschlechterte sich die Erlössituation, ein weiteres Drittel verzeichnete vorübergehende Einbrüche, ermittelte die Umfrage.
Zusätzlich zum Erlösrückgang drücken pandemiebedingte Mehrausgaben auf die Bilanz vieler Einrichtungen. Speziell zu nennen sind erhöhter Personalbedarf, die Anschaffung von Hygiene- und Schutzausrüstungen, mehr Verwaltungsaufwand sowie Investitionen in die digitale Kommunikation und Datenverarbeitung. Viele Mehrkosten und Mindereinnahmen sind nur teilweise erstattungsfähig, die Lage bedrohlich, unterstreichen die Studienautor*innen: „Die finanziellen Mehraufwendungen stellen für rund drei Viertel und die Mindereinnahmen/Erlösausfälle für knapp zwei Drittel der Organisationen ein großes bis sehr großes Problem dar. Insgesamt 9,0 % der Organisationen sehen sich mit einer drohenden Insolvenz konfrontiert.“
57,6 Prozent der Umfrageteilnehmenden haben eine oder mehrere Hilfs- oder Unterstützungsleistungen beansprucht: vom Bund (47,8 %), vom Land (36,6 %) oder sonstigen Institutionen (Kurzarbeitergeld, Hilfe durch Kommunen, Spenden; 35,6 %). Die Leistungen des Bundes gründen größtenteils auf dem Pflege-Rettungsschirm (32,7 %), dem Infektionsschutzmittelgesetzes (28,3 %) und dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes (10,7 %). 38,8 Prozent der Organisationen mit Leistungen vom Bund empfanden diese als nicht ausreichend, resümiert die Studie. Bei den Hilfen des Landes Hessen dominieren der „Corona-Pflegebonus“ und die Soforthilfe „Investitionskosten teilstationärer Pflegeeinrichtungen sowie solitärer Kurzzeitpflegeeinrichtungen“. Diese Landeshilfen hielten 41,3 Prozent der Befragten für nicht ausreichend.
42,4 Prozent der Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege haben keine dieser Hilfen angefordert. Sie gaben unterschiedliche Gründe für ihre Zurückhaltung an: fehlende Passgenauigkeit (12,2 %), kein Anspruch (12,2 %), kein genauer Überblick über die Angebote (7,3 %), zuviel Bürokratie (4,9 %). Weitere Gründe für die Nichtinanspruchnahme waren bereits leere Fördertöpfe oder die fehlende Berechtigung eingetragener Vereine für bestimmte Hilfsprogramme. Organisationen aus den Arbeitsbereichen Selbsthilfe, Migration, Flucht und Asyl sowie Rettungsdienste und Soziale Notlagen gaben am häufigsten an, dass es keine passenden Hilfen für sie gab. Nur 17,6 Prozent der Befragten äußerten, keine Finanzhilfen benötigt zu haben.
Die bisherigen Bemühungen der Trägereinrichtungen, die aufgelaufenen Defizite aus eigener Tasche zu finanzieren, seien erschöpft, „gerade kleinere Vereine und Organisationen sind in akuter Existenznot“, beklagt Nils Möller von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege. Der Verband sieht dringenden Handlungsbedarf:
* Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen ist der Zusammenschluss der sechs hessischen Wohlfahrtsverbände. Zu ihnen zählen circa 7.300 Einrichtungen und Dienste mit 113.000 Beschäftigten und 160.000 ehrenamtlich Engagierten.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wohlfahrtspflege in Hessen, Ergebnisse der Blitzlichtbefragung Dez. 2020/Jan. 2021.
Goethe-Universität Frankfurt am Main im Auftrag der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V. (Hg.), März 2021, 31 Seiten, Download
Siehe auch: Umfrage der Bank für Sozialwirtschaft zu wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Dritte Erhebung für den Bereich Senioren- und Langzeitpflege (04-05/2021): Ergebnisse
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