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Grimmiger Gesichtsausdruck, verschränkte Arme – die Pflegekräfte auf dem Studiencover sind nicht in bester Stimmung. Dabei verheißt die Expertise erfreuliche Neuigkeiten, jedenfalls auf den ersten Blick: Mindestens 300.000 Vollzeitkräfte stünden durch Rückkehr in die Pflege oder Aufstockung der Teilzeitarbeit zusätzlich zur Verfügung. Der Haken: Diese Prognose gilt nur unter Vorbehalt, nämlich für den Fall erheblich besserer Arbeitsbedingungen. Die Studie „Ich pflege wieder, wenn...“ der Arbeitnehmerkammer Bremen analysiert die Motivlage von potenziellen Rückkehrern und Aufstockern und modelliert das stille Fachkräftepotenzial der Branche.
Der Expertise aus Bremen entstand zusammen mit der Arbeitskammer des Saarlandes, dem Institut Arbeit und Technik (IAT) sowie mit Förderung durch die Hans-Böckler-Stiftung. Zugrunde liegt eine Online-Befragung von insgesamt 12.700 Teilzeit-Pflegekräften (75 %) und Pflegeberuf-Aussteiger*innen (25 %). Frauen bildeten den größten Anteil (87 % bei Teilzeit-Pflegekräften, 82 % bei Aussteigern). Zwei Drittel der Studienteilnehmer*innen arbeiteten in der Krankenpflege, die anderen in der Langzeitpflege.
Mehrere Modellrechnungen der Wissenschaftler*innen kamen zu dem Ergebnis, dass potenziell 300.000 oder sogar 660.000 Vollzeit-Pflegekräfte zusätzlich zur Verfügung stehen. Die vorsichtigere Projektion setzt sich aus 263.000 rückkehrbereiten Berufsaussteigern und 39.000 Teilzeitkräften mit Bereitschaft zur Aufstockung ihrer Arbeitszeit zusammen. Die optimistischere Variante kommt sogar auf 583.000 Rückkehrer*innen und 78.000 Aufstocker*innen. Mehr als 80 Prozent des Potenzials beruht auf der Rückkehr ausgeschiedener Fachkräfte.
Die Autor*innen filtern aus den Antworten der Befragten eine Top Ten der wichtigsten Arbeitsbedingungen. An der Spitze rangieren eine Personalausstattung, die eine hochwertige Pflege mit persönlicher Zuwendung zulässt. Angemessene Bezahlung, verlässliche Arbeitszeiten und verbindliche Dienstpläne werden ebenfalls erwartet. Weitere Bedingungen für eine Berufsrückkehr bzw. Erhöhung der Arbeitszeit sind wertschätzende Vorgesetzte, Kontakt auf Augenhöhe mit Ärzt*innen sowie eine vereinfachte digitale Dokumentationen.
„Die Pflegebeschäftigten wissen sehr genau, was sich ändern muss, damit sie ihren verantwortungsvollen Beruf so ausüben können, wie es ihren fachlichen Vorstellungen und ihrer Ausbildung entspricht“, fasst Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen, die Vorstellungen der Befragten zusammen.
Von den Teilzeitkräften ist knapp die Hälfte bereit, ihre Arbeitszeit um zehn Stunden pro Woche aufzustocken, 60 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräften würde für eine 30-Stunden-Woche zurückkommen. Ein Drittel der potenziellen Rückkehrer*innen hatte sich bereits mit Stellenangeboten beschäftigt und knapp sechs Prozent standen mit einem Arbeitgeber in Kontakt. „Auffällig ist, dass ehemalige Beschäftigte aus den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten ihren eigenen Bereich seltener als Wiedereinstiegsbereich angeben“, hat Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit & Wandel am IAT, beobachtet.
Der ohnehin schon gravierende Fachkräftemangel in der Pflege wird sich der Studie zufolge weiter verschärfen. Alleine in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen 500.000 Pflegefachkräfte in den Ruhestand. Die Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte ist also notwendig und – wie die vorstehende Studie belegt – potenziell möglich. Doch die bereits lange anhaltende Reformdebatte lässt befürchten, dass eine überzeugende Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe auch weiterhin auf sich warten lässt.
Als prioritär empfehlen die Expert*innen, den Pflegenotstand auf den Stationen anzugehen. Dazu müsse die „Personalbedarfsmessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ (PeBeM) vollständig und zeitnah umgesetzt werden. Überdies gehe es um angemessene Bezahlung und um eine Stärkung der Tarifbindung. Eine schnelle Umsetzung der Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0) müsse endlich weg von der Minutenpflege hin zu einer bedarfsgerechten Pflegezeit führen.
Jennie Auffenberg / Denise Becka / Michaela Evans, u. a., Ich pflege wieder, wenn ...“. Potenzialanalyse zur Berufsrückkehr und Arbeitszeitaufstockung von Pflegefachkräften, Mai 2022
Ein Kooperationsprojekt der Arbeitnehmerkammer Bremen, des Instituts Arbeit und Technik Gelsenkirchen (IAT) und der Arbeitskammer des Saarlandes, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung
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