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„Ich weiß nicht mehr weiter.“ Mails, die so beginnen, bekommt Mira Sommer (21; Name geändert) häufig auf ihren Laptop. Die Studentin ist eine von bundesweit 290 ehrenamtlichen Berater*innen beim Projekt [U25] zur Suizidprävention der Caritas. Das Besondere daran: In der Mail-Beratung vertrauen sich junge Menschen unter 25 Jahren gleichaltrigen Ehrenamtlichen an und werden von ihnen über einen längeren Zeitraum begleitet – anonym und kostenlos.
Schicksalsschläge wie der Tod oder eine unheilbare Krankheit in der Familie, sexuelle Gewalt oder eine traumatische Trennung sind häufige Motive der Hilfesuchenden, berichtet Mira. Oft geht es auch um Schwierigkeiten in Ausbildung und Studium, um Leistungsdruck, Mobbing und Einsamkeit. Die freiwillige Peer-Beraterin (peer = ebenbürtig) bietet den Klient*innen etwas, das ihnen fehlt: Empathie, Austausch und Rat. „Ich bin immer wieder erschüttert über das schwere Päckchen, das manche Menschen schon in jungen Jahren alleine tragen müssen. Bei denen jagt ein Problem das nächste.“
Die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen ist Suizid. Täglich sterben zwei bis drei junge Menschen unter 25 auf diese Weise. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer. „Zugleich ist Suizid nach wie vor ein stark tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft“, erklärt Hannes Schuster, Referent für das Caritas-Projekt. „Hier setzt das anonyme Online-Suizidpräventionsangebot [U25] an. In diesem Angebot des Deutschen Caritasverbands, das an zehn Trägerstandorten in Deutschland durchgeführt wird, hat sich schon häufig gezeigt: Offen über seine Suizidgedanken zu sprechen, kann lebensrettend sein.“
1.500 Menschen suchten 2020 Unterstützung, im ersten Halbjahr 2021 waren es 650 Menschen. Ratsuchende und Peerberate*innen schrieben sich rund 30.000 Mails, seit Beginn der Pandemie hat es zugenommen, meldet die Caritas. Der Vorteil des Onlineformats liegt auf der Hand: Es gewährt in Notlagen einen niedrigschwelligen Zugang, den Messengerdienste und soziale Medien wie Instagram und TikTok nicht bieten.
Mira engagiert sich seit März 2020 in der Suizidprävention, berät zwei bis drei Klienten*innen gleichzeitig, abhängig von der Intensität der Kontakte. Für die Peers gelten verbindliche Sieben-Tage-Antwortfristen. „Ich setze mich mit den Problemschilderungen gründlich auseinander, schlafe auch schon mal eine Nacht über einen schwierigen Fall“, berichtet Mira. Das sieht sie auch als einen Vorteil gegenüber der Telefonseelsorge – man muss nicht sofort eine Antwort parat haben. „Ich mache mir immer wieder klar, den Blick der Betroffenen auf Hilfen aus ihrer persönlichen Umgebung und auf eigene Stärken zu lenken“, nennt Mira ihr Beratungsziel. Und wenn nötig, steht den Peers immer noch das hauptamtliche Fachkräfte-Team der Caritas mit Rat und Tat zur Verfügung: „Das ist wirklich sehr hilfreich.“
Die ehrenamtlichen Helfer*innen kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, sind Schüler*innen, Studierende, Azubis und junge Berufstätige. Mira profitiert fachlich von ihrem Bachelor-Studiengang in Psychologie. Alle Peers werden für ihr Ehrenamt ein halbes Jahr lang von Fachleuten geschult. Im Mittelpunkt stehen Krankheitsbilder, Methoden der Mailberatung, Selbsterfahrung und Feedback-Gespräche. Anschließend erfolgen regelmäßige Supervisionen und Workshops zu speziellen Themen. Die Grenzen des Beratungsangebots sind klar abgesteckt: Es handelt sich nicht um eine psychologische Fachberatung oder Therapie. Wenn nötig, verweisen die Helfer*innen auf professionelle Ansprechpartner und therapeutische Einrichtungen in der Nähe.
Der Beratungsaufwand ist beachtlich, die Peers bekommen aber auch viel zurück. „Ein cooles Gefühl, zu merken, dass es beim Hilfesuchenden bergauf geht“, beschreibt Mira das Glücksgefühl für ihr „Herzensprojekt“, wie sie es nennt. Natürlich ist sie auch für die Beratungspraxis dankbar, die ihr während des Studiums fehlte. Und sie stellt fest, dass sie an ihrer Aufgabe wächst: „Im Kontakt mit Freunden merke ich, wie viel ich an Offenheit und Gesprächsführung gelernt habe.“
Zusätzlich zur Onlineberatung wirkt das [U25]-Projekt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen um Aufmerksamkeit: mit Info-Ständen auf belebten Plätzen, Charity-Aktivitäten, Workshops und durch die Vernetzung mit lokalen Initiativen zur Unterstützung von Menschen mit seelischen Erkrankungen und zur Suizidprävention:
Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Dennoch ist es zu Aufrechterhaltung und Erweiterung seines Hilfsangebots auf Spenden angewiesen:
www.u25-deutschland.de/spenden
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