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Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen
Econ Verlag 2021, 224 Seiten, 26 Euro
Rafael Laguna de la Vera (56) gilt als der wichtigste Trendscout Deutschlands. Als Chef der Agentur für Sprunginnovationen Deutschland, abgekürzt SPRIND mit D wie Deutschland, soll er nach amerikanischem Vorbild der DAPRA, der Forschungsorganisation des Pentagon, herausragende Innovationen und revolutionäre Ideen fördern. Seit Ende 2019 versucht der Gründungsdirektor der Bundesinnovationsagentur, die ihren Standort in Leipzig hat, mutigen,kreativen Ideen gezielt zum Durchbruch zu verhelfen. Gemeinsam mit Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge, dem Autor des Bestsellers „Mensch und Maschine“, schrieb Rafael Laguna seine Vision von Sprunginnovationen auf. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat in Köln mit Rafael Laguna darüber gesprochen, „wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen“.
Eine Sprunginnovation ist eine bahnbrechende Erfindung, die die Welt derart verändert, dass sie hinterher nicht mehr die alte ist, sagt Rafael Laguna: Das Auto löste die Pferdekutsche ab, das iPhone folgte auf das Handy, oder die DVD fegte die Videokassette vom Markt. Auch dieser zerstörerische Aspekt ist für den IT-Unternehmer aus Köln, der mit 16 Jahren sein erstes Unternehmen gründete, Teil von Sprunginnovationen: Gemeint sind Kollateralschäden, die den Markt radikal und nicht mehr umkehrbar verändern.
Denn es sind bisher überwiegend US-Firmen und zunehmend chinesische, die mit radikalen Neuerungen die globalen Märkte erobern. Teilweise fehlt es dem Trendscout nicht unbedingt an revolutionären technischen Ideen in Europa, sondern an der Umsetzung. Mit Hilfe von SPIND sollen Unternehmen zum einen künftig ihre Potentiale besser erkennen, um sie im internationalen Wettbewerb besser ausschöpfen zu können. Zum anderen sollen wegweisende Ideen aufgespürt und zur Marktreife verholfen werden. Dazu wurden der IT-Unternehmer Rafael Laguna und sein Team bis 2029 mit gut einer Milliarde Euro ausgestattet. Der Ausgang des Versuchs ist offen – und könnte, wie viele gute Ideen, doch noch an der überbordenden deutschen Bürokratie scheitern.
Der Gründungsdirektor von SPRIND, der sich selbst als Berufsoptimist bezeichnet, will Katalysator und Förderer von Innovationen sein, die das Zeug dazu haben, systemverändernd zu sein. Eine der Kernbotschaften von Rafael Laguna: Wir brauchen keine weiteren Apps und Geschäftsmodelle, die ihre Nutzer infantilisieren und überwachen und für die weltweit unbegrenzt Risikokapital zur Verfügung steht. Seine These dazu: Wir lenken uns ab mit solchen Scheininnovationen.
„Wir reden viel über diese tollen Internet-Plattformen, Social Media und die Intermediäre, die sich da reinschieben, um uns Taxis, Essen oder Scooter zu liefern“, sagt Rafael Laguna im Gespräch mit unserer Autorin in Köln. Für ihn sind das häufig Geschäftsmodelle, die zu einem Negativsummenspiel führen. „Auf der Lieferanten- und Konsumentenseite müssen die Menschen mehr Geld bezahlen für die Produkte, während die Lieferanten und die Produzenten aber viel weniger Geld kriegen, weil sich die Plattformen in der Mitte den Gewinn reinziehen.“
Stattdessen will der Autor sich auf das Nicht-Nullsummenspiel konzentrieren, positive „Eins-plus-eins-gleich-drei = Erfindungen“, wie er es nennt, die das Leben der Menschen insgesamt viel besser machen. „Wir wollen den Prozess beschleunigen, dass wir diese Innovationen hier machen, hier halten und in wirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen Nutzen umsetzen. Und da müssen wir jetzt schnell sein.“
Die letzte große Sprunginnovation aus Deutschland ist für Rafael Laguna das Auto gewesen. Und das sei mittlerweile mehr als 134 Jahre her. Diese Idee ernährt dieses Land zwar immer noch, aber der nächste Sprung zum Elektroauto wurde schlichtweg verpasst. Für Rafael Laguna lebt die Wirtschaftsleistung in Deutschland immer noch von Erfindungen und Sprunginnovationen aus dem vorigen Jahrhundert. Es ärgert ihn, dass das Potential von einer der bekanntesten Sprunginnovationen, dem Audiodateiformat MP3, das 1989 vom Fraunhofer-Institut erfunden wurde, erst von der US-Firma Apple erkannt wurde. Die machte daraus den legendären iPod – und nicht etwa Grundig oder Telefunken, die es heute nicht mehr gibt. Hätte es damals schon eine Agentur für Sprunginnovationen gegeben, wäre der volkswirtschaftliche Nutzen, also die Wertschöpfung vielleicht in Deutschland geblieben.
Um das zu ändern, könnten europäische Länder von Unternehmerstaaten lernen, im „Tal des Todes der Innovation“ als risikofreudige Akteure aufzutreten. Das Tal beginnt für Rafael Laguna, wenn die Förderung von Grundlagenforschung endet, die Technologie aber noch nicht reif für einen Markt ist. „Wenn wir schauen, wo die Zukunftstechnologien, die Zukunftsmärkte herkommen, so sind wir vielleicht an der Erfindung eben dieser beteiligt. Aber wir entwickeln hier keine Märkte und wir entwickeln daraus keinen direkten Wohlstand.“ Daher befürchtet der gebürtige Leipziger, dass unser Wohlstand bald vorbeigehen kann, wenn wir jetzt nicht nachlegen. „Wir haben hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch ein gutes System, nur die Übersetzung von dem, was erfunden wird, in volkswirtschaftlichen Nutzen ist nicht gut. Und das wollen wir mit SPIND beschleunigen.“
Sprunginnovationen sollen den Wohlstand in den nächsten hundert Jahren sichern, erklärt Rafael Laguna beinah gebetsmühlenartig. Fünf bis zehn Ideen pro Jahr, so schätzt der Trendscout, werde man an den Start helfen können. Auch für die Spätfinanzierung einer Sprunginnovation, also die Phase vor der tatsächlichen Produktion eines Produkts, gebe es genügend Geld. „Nicht rumlabern, sondern auf gut Deutsch, einfach mal machen. Das ist etwas, was mich schon immer geprägt hat in meinem Leben.“ Der IT-Unternehmer, der mit 21 Jahren bereits komplette Kassensystem programmierte, gründete zuletzt 2008 die Open-Xchange AG, einen heutigen Marktführer im Software-as-a-Service-Umfeld. Rafael Laguna gilt als Kämpfer für das offene Internet, gemeint ist, dass die Quellentexte der Software öffentlich genutzt werden können. Eigentlich ist er ein eher völlig untypischer Leiter einer staatlichen Agentur, aber genau deshalb wurde er von der Bunderegierung ausgesucht.
Der Autor bezieht sich vor allem auf die Maslowsche Bedürfnispyramide. „Erstens ist ganz unten WiFi und Akku voll. Dann kommen Luft und Wasser und ganz oben kommt Selbstverwirklichung. Zweitens müssen Erfindungen für den Innovationsmanager den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen stiften.“ Für Rafael Laguna ist dies ein wichtiger Parameter, damit es keine Scheininnovationen sind.
„Wenn man in der Pyramide von unten nach oben geht, stellt man fest, dass wahrscheinlich saubere und extrem kostengünstige Energie die allerwichtigste Erfindung unserer Zeit sein wird. Wenn wir das Energieproblem lösen, können wir noch eine ganze Kette anderer Probleme lösen: Umweltprobleme, Wasserversorgungsprobleme, Ernährungsprobleme, Gesundheitsprobleme.“ Die leiten sich für den Autor alle daraus ab. Und daraus könne man wieder Flüchtlingsprobleme, Kriegsprobleme ableiten. „Das ist sicherlich die Erfindung mit dem größten Impact“, so Rafael Laguna.
Vier Vorzeigeprodukte werden von SPRIND aktuell mit staatlichem Geld unterstützt: Ein Supercomputer, der mit neuartigen analogen Chips das menschliche Gehirn abbildet, ein dreihundert Meter hohes Windrad, dessen Entwickler 92 Jahre alt ist, ein Wirkstoff zur Behandlung von Alzheimer und eine Anlage, die mit Hilfe von Luftbläschen Mikroplastik aus den Flüssen filtert, bevor es in die Weltmeere gelangt. Rafael Laguna ist davon überzeugt, dass Wissenschaft und Technik in den kommenden Jahrzehnten grüne Energie aus Wind und Sonne, Wasserkraft und Kernfusion im Überfluss bringen werden. Diese könnte seiner Meinung nach so günstig sein, dass es sich kaum noch lohnt, sie abzurechnen. Durch CO2-freie Energie für weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde ließen sich Armut und Hunger weltweit radikal senken.
Für den Technologie-Investor wäre sogar saubere Atomenergie eine gute Idee: „Weil man da wirklich sehr umweltverträglich sehr große Energiemengen dauerhaft produzieren kann. Oder wir könnten billigere, kleinere Kläranlagen bauen, die sauberes Wasser überall hinbringen.“ Das Ziel müsse in jedem Fall sein, dass die Wirtschaftsleistung der Sprunginnovationen in Deutschland bleibt. Rafael Lagunas Credo: „Langsam die grundlegenden Probleme wegräumen, die es uns Menschen schwermachen, im Einklang mit dem Planeten zu leben.“ Der IT-Experte ist fest davon überzeugt: „Wenn wir das alles durch Technologie gelöst haben, brauchen wir nicht mehr zu verzichten, nicht mehr die Anzahl der Menschen auf dem Planeten zu reduzieren“.
Eine Hoffnung, die Rafael Laguna und Thomas Ramge gemeinsam mit dem Buch verbinden: „Junge Leute zu motivieren, selber was zu machen, die Unis zu stürmen und innovative Sachen zu entwickeln, die sich mit den Problemen der Zeit beschäftigen.“ „Einfach machen“, so heißt das Credo der beiden Autoren. Wenn das Buch ein wenig Aufbruchsstimmung in diese Richtung erzeugt, habe es seinen Zweck erfüllt.
Überraschend unterhaltsam und leicht zu lesen machen Rafael Laguna und der Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge Lust auf Sprunginnovationen. Nicht nur Technikoptimismus und die Lust darauf, die Zukunft mitzugestalten, werden spürbar. Sondern auch die tiefe Überzeugung, dass die Angst vor der Zukunft und das negative Narrativ einfach eine komplette Zeitverschwendung sind, so der SPIND-Chef. „In Zeiten technologischer Paradigmenwechsel besteht das größte Risiko darin, keine Risiken einzugehen und auf die lineare Fortschreibung der Gegenwart zu setzen“, da sind sich die beiden Autoren ganz sicher.
Weiterführende Links:
(alle abgerufen am 05.10.2021)
Sozialmarketing
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Soziales
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