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Chronischer Mangel, komplizierte Anmeldeverfahren, unklare Vergabekriterien – viele Eltern empfinden die Zuteilung eines Kita-Platzes als einen Lotto-Gewinn. Auch für die Kita-Leitungen ist die Situation unbefriedigend. Sie müssen den Mangel verwalten und dem Elternfrust standhalten. Ein Matching-Algorithmus nach dem Prinzip gängiger Dating-Plattformen soll Abhilfe schaffen und Angebot und Nachfrage passgenau zusammenführen. Ein Report der Bertelsmann-Stiftung stellt das praxiserprobte Verfahren als Beispiel für den Non-Profit-Einsatz von Algorithmen vor.
Die algorithmengesteuerte Software gestaltet den Zugang zur Kita-Betreuung gerechter und effizienter, argumentiert Julia Gundlach, Digitalexpertin der Stiftung und Autorin des Reports. Zwar kann kein Algorithmus den anhaltenden Mangel an Betreuungsplätzen beseitigen – nach Berechnungen des Bundesfamilienministeriums müssten bis 2025 zwischen 300.000 und 380.000 zusätzliche Plätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen werden. Dennoch spreche aktuell einiges für ein besseres Vergabesystem: „Während die Ausbildung von weiterem Personal und der Bau neuer Gebäude oft mehrere Jahre dauert, könnte ein algorithmenbasiertes Vergabesystem auch kurzfristiger zu Verbesserungen führen.“
Aus dem Kreis Steinfurt (NRW) und einigen weiteren Kommunen liegen bereits erste Praxiserfahrungen vor. Basis ist die Software KitaMatch, die vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim entwickelt wurde und als Open-Source-Angebot zur Verfügung steht. „Die Software ermöglicht es, die Wünsche der Eltern mit den Auswahlkriterien der Kitas bestmöglich überein zu bringen“, heißt es in der Studie. Die Zuteilung erfolgt nach einem zuvor erstellten Profil, bestehend aus den Vergabekriterien, elterlichen Angaben zur Wunsch-Kita und vorhandenen Kapazitäten.
Vor allem Kinder aus benachteiligten Familien könnten von dem Algorithmeneinsatz profitieren, da die herkömmlichen Anmeldeverfahren für die Eltern oft eine große Hürde darstellten, schreibt die Autorin. Die Studie listet drei Vorzüge der digitalen Vergabe auf:
Von diesen herausgestellten Vorzügen des Vergabeverfahrens sind viele Eltern noch nicht überzeugt. In einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung verlangten 47 Prozent der befragten Eltern, dass allein ein Mensch über die Kita-Platz-Zuweisung befinden dürfe. 49 Prozent plädierten dafür, auch ein Votum des Computers zu berücksichtigen. Nur drei Prozent würden das Votum über die Vergabe allein dem Algorithmus überlassen. Vor allem jüngere Eltern mit Hochschulabschluss stünden dem Technologieeinsatz aufgeschlossen gegenüber.
„Algorithmen sorgen nicht automatisch für mehr Fairness“, räumt die Studie ein, „die Empfehlungen einer Software sind nur so gerecht, wie die Kriterien, nach denen diese programmiert ist.“ Außerdem lasse sich eine komplexe soziale Aufgabe wie die gerechte Kita-Platzvergabe nicht allein durch den Einsatz von Technologie lösen. So müsse untersucht werden, ob die algorithmengesteuerte Verteilung Tendenzen zur Segregation fördere, das heißt, ob sie die Konzentration bestimmter sozialer und ethnischer Merkmale verstärke. Hinzu komme: „Den Vergabeprozess zu optimieren, ist kein Ersatz für den Ausbau von Betreuungsplätzen oder die Ausbildung weiterer Erzieher:innen, sondern kann nur eine Ergänzung sein.“
Der geplante Einsatz einer Technologie muss immer auch den sozialen Kontext einbeziehen, in dem sie wirken soll, betont Wissenschaftlerin Gundlach. Für die algorithmengesteuerte Kita-Platzvergabe geraten mehrere Erfolgsfaktoren in den Blick: Befähigung in den Kitas für den Betrieb des neuen Verfahrens sowie zielgruppengenaue Aufklärungsarbeit und kontinuierliche Einbindung der Eltern, des Kita-Personals und der Mitarbeitenden in den kommunalen Dienststellen.
Die Praxis in einzelner Kommunen zeigt, dass digitale Technologie zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben beitragen kann. Es liege nahe, so die Autor*innen, dass diese Technologie auch in anderen Bereichen eine gemeinwohlorientierte Innovationsförderung unterstützen könnte. „Doch aktuell wird ihr Einsatz hauptsächlich von ökonomischen Motiven bestimmt.“ Außerdem mangele es an einer größeren Zahl positiver Beispiele für den sozialen Bereich. Dazu brauche es notwendigerweise einer partizipativer Gestaltung algorithmischer Systeme. „Dies kann sich ändern, wenn für gemeinwohlorientierte Innovationsprojekte bessere Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten geschaffen werden.“
Julia Gundlach, Per Algorithmus zum Kitaplatz. Potenziale und Erfolgsfaktoren für eine bessere Kitaplatzvergabe mithilfe von algorithmischen Systemen, Bertelsmann-Stiftung (Hg.), 2021, 26 Seiten
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